Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
»Bitte ruf mich an!!!«
Ich weiß es wieder. Ich habe Oskar per SMS einen Heiratsantrag gemacht. Es hatte irgendwie mit der Stimmung von gestern Nacht zu tun und mit dem vielen Weißburgunder. Ich schwöre mir, nie wieder betrunken SMS zu verschicken, auf keinen Fall, nie!
Will ich ihn heiraten? Vielleicht habe ich die Nacht und die Stimmung und den Alkohol gebraucht, um mich zu trauen. Ich liebe ihn. Sicher. Und wenn ich mir so anhöre, wie es anderen Frauen in meiner Umgebung geht … Also, warum sollte ich ihn nicht heiraten, er will es schon lange. Hat nur nichts mehr gesagt, weil ich immer wieder ausgewichen bin.
Heiratsantrag per SMS, er muss mich wirklich gern haben, wenn er das ernst nimmt. Und er macht sich eindeutig Sorgen, weil ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich hasse es, wenn er schreibt, dass er sich Sorgen macht, deshalb schreibt er es nicht mehr. Irgendwie bin ich mit seinen Gefühlen ganz schön terroristisch umgesprungen. Statt hier herumzuliegen und herumzuüberlegen, sollte ich ihn anrufen. Sonst ist er wieder in der nächsten Verhandlung. Andererseits: Ich könnte ihm noch eine SMS schreiben und erklären, wie das gestern Nacht war, vielleicht kommt er dann selbst auf die Idee, dass es sich bei meinem Heiratsantrag eher um eine liebevoll-sentimentale Anwandlung gehandelt hat. Wir haben es doch auch so sehr schön.
Eine SMS mit Heiratsantrag und die nächste mit dem Rückzug, das ist einfach nicht in Ordnung. Also: anrufen. Nein, doch besser: SMS, er ist sicher gerade in einer Verhandlung. Aber kein Rückzug, eher unverbindliches Liebes. »Habe verschlafen und liebe dich, war lange Nacht und …« – da fällt mir nichts mehr ein, ich lösche das »und« wieder, setze »deine Mira« hinzu, lösche das »deine« wieder. Senden.
Ich gehe duschen, keine Antwort. Ich mache mir Kaffee, keine Antwort. Ich hetze zur U-Bahn Richtung Redaktion, keine Antwort. Er ist sauer. Oder mein Mobiltelefon hat etwas. Ich schicke mir selbst eine SMS, das geht ganz normal weg und kommt umgehend an. Funktioniert also. Vielleicht findet er nun doch, dass ein Heiratsantrag per SMS bei Menschen über achtzehn eine Frechheit ist – und für Menschen unter achtzehn sollte Derartiges ohnehin verboten werden.
Ich drücke die Tür zum Glas- und Betonpalast des »Magazins« auf, überlege, ob ich ihm noch eine SMS schicken soll, vielleicht war sie zu wenig liebevoll, aber das mit den Hochzeitsglocken ist eben nicht so meins. Ich lese meine SMS an ihn erneut, denke mir, das war gar nicht so übel, und ich habe sogar, wie sonst nur ganz selten, »liebe dich« geschrieben, wenn auch in einem Zug mit »habe verschlafen«, aber sonst hat er ja auch etwas übrig für Wortwitz und ist kein Sentimentaler. Ist er doch. Er kann ganz schön gefühlsbetont sein, ich ja auch, sonst hätte ich gestern Nacht nie … Diese Scheidungssache und auch das Klassentreffen haben sich mir irgendwie aufs Gemüt geschlagen.
Er hat mir fünf SMS geschickt, also kann ich ihm noch eins schicken, ein scherzhaftes, so was wie: »Hat Justitia dich verschleppt?« Haha.
Beinahe hätte ich über meinen Überlegereien das SMS-Signal überhört. Öffnen, klopfendes Herz wie ein Schulmädchen.
»Sorry, war in langer Verhandlung, liebe dich auch, und wie, heute 20 h, habe zum Feiern – nur für uns beide – einen Tisch im pur reserviert, gibt so viel zu bereden, dein eiliger Oskar.«
Er ist nicht sauer, denke ich mir glücklich, und dann: Warum im pur? Und: Er will mit mir über die Details der Hochzeit reden! Du liebe Güte.
Ich habe in der Redaktion eine Menge zu tun, und trotzdem: zwischendurch denke ich immer wieder an den Abend und wie er wohl werden wird. Ich will Oskar nicht enttäuschen. Wenn ich ihn nicht enttäuschen will, brauche ich ihn nur zu heiraten. Nur? Und: Nur heiraten reicht auch nicht aus auf Dauer, wie man ja sieht. Andererseits: Nie habe ich Heiraten für besonders wichtig gehalten, was ändert sich schon, wenn wir heiraten? Also, warum nicht? Andererseits: also warum?
In der nächsten Ausgabe des »Magazins« soll zum ersten Mal ein Leitartikel von mir erscheinen, üblicherweise ist er von Droch oder vom Außenpolitik-Chef, manchmal auch vom Chefredakteur. Droch hat das eingefädelt, ich schreibe über die Zusammenhänge zwischen Terror, Terrorismusbekämpfung und der Verteilung von Geld und Macht. Er ist an sich fertig, aber ich sollte ihn noch einmal lesen. Mira Valensky, von der Lifestyletante zur seriösen
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