Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
seltsam, plötzlich so viele enge Beziehungen hinterfragen zu müssen, da beginnst du an allem zu zweifeln«, hat sie mir geschrieben.
Die Reaktion der Belegschaft der Praxis auf den offenen Brief wollte sie lieber nicht überprüfen, sie hat die Praxis seither nicht mehr betreten, auch wenn Dr. Beer meint, das könnte für sie ein Nachteil bei der Vermögensaufteilung sein, denn da gelte es, ein möglichst enges faktisches Naheverhältnis zum Betrieb vorzuweisen, wenn sie schon nicht an der Firma beteiligt sei.
Und dann geht alles ganz schnell: Während ich mich, wieder in Wien, mit dem Chefredakteur, dem auf abgebrüht und Pro-USA machendem Droch – ich bin mir sicher, diese Position nimmt er nur ein, um mich zu ärgern – und den Terrorbekämpfungsmedien-Stabsstellen herumstreite, gibt es einen Verhandlungstermin für Gerdas Scheidung.
»Mir ist es recht, ich will, dass es endlich vorbei ist«, meint sie.
Oskar macht mir von vornherein klar, wie die Scheidungsverhandlung ausgehen wird: Gerda wird schuldig geschieden werden, entweder aus alleinigem oder aus überwiegendem Verschulden. Da Ehebruch – dort nichts, was sich so handfest darlegen ließe. Die Richterin, bei der der Fall gelandet ist, sei in Ordnung, meint Oskar, aber auch sie habe sich eben an die ständige Judikatur zu halten.
»Warum?«, frage ich in Erinnerung an mein Studium.
»Weil es eben so üblich ist bei Fällen, die es schon hundert- und tausendmal gegeben hat.«
»Es ist ungerecht. Er war es, der die Ehe mit seiner Engstirnigkeit zerstört hat«, argumentiere ich.
»Mag sein«, sagt er, seufzt und streichelt Gismo, »aber wie das Scheidungsverfahren ausgeht, sagt noch nichts über die Vermögensaufteilung aus. Das wird der wirkliche Kampf, fürchte ich.«
Sehr beruhigend. Mir war gar nicht bewusst, dass das separat abgewickelt wird.
Am Tag der Scheidung bin ich in Brüssel, ich mache ein Interview mit dem neuen EU-Verantwortlichen für Terrorbekämpfung. Er hält sich derartig bedeckt, dass ich eigentlich auch die Europa-Fahne hinter ihm hätte interviewen können. Wenigstens entlocke ich ihm, dass in der EU mit Nachdruck auf die Einhaltung der Menschen- und Freiheitsrechte geachtet werden müsse.
»Und wenn es da zu Konflikten mit gängigen Methoden der so genannten Terrorbekämpfung kommt?«
»Dann gilt es eben, beide Rechtsgüter sorgsam abzuwägen.« – Was immer das bedeuten mag.
Ich gehe ganz allein in eines der besten Lokale Brüssels und tröste mich mit seinen Muschelspezialitäten.
Bevor ich mich in den Billigflieger zurück nach Wien setze, rufe ich Gerda an. »Wie ist es gelaufen?«
»Es ist vorbei«, sagt sie beinahe tonlos.
»Was?«
»Ich bin geschieden.«
»Wie?«
»Alleiniges Verschulden. Ich habe alles unterschrieben, was der Anwalt meines … meines Ex diktiert hat. Auch, dass ich durch meine außerehelichen Beziehungen mutwillig eine intakte Ehe zerstört habe und dass ich trotz der wiederholten Versöhnungsversuche vonseiten meines Mannes nicht zum Einlenken bereit war. Ich fühle mich miserabel.«
»Warum hast du das unterschrieben? Ist doch überhaupt nicht wahr.«
»Meine Anwältin hat mir dazu geraten. Klar hätten wir noch ein paar Verhandlungstermine durchsetzen können, und mit etwas Glück entscheidet die Richterin dann auch nicht auf mein alleiniges, sondern auf überwiegendes Verschulden, aber mehr wäre auf keinen Fall drin gewesen. Und an den Folgen hätte das nichts geändert. Weißt du, was das Beste ist? Ich bin ihm Unterhalt schuldig, wenn er einmal nicht so viel verdienen sollte. Ich ihm! Dass ich ewig lang daheim bei den Kindern war, zählt gar nicht, zumindest nicht, was das betrifft. Dass ich Jahre versäumt habe, in denen ich Karriere hätte machen können und Pensionszeiten ansparen …« Sie flüstert es nur noch: »Ich wollte endlich raus, aber jetzt … Ich fühle mich über den Tisch gezogen und einfach nur mies.«
»Es ist vorüber, wer fragt schon danach, was in dem idiotischen Urteil steht«, versuche ich sie zu trösten.
»Er ist übrigens ausgezogen. Die ganze Zeit über hat er gesagt, dass er die Wohnung behalten will, und plötzlich ist er weg. Er muss schon länger nach einer anderen Wohnung gesucht haben. Über die Kinder weiß ich, dass sie alles andere als bescheiden ist. Gleich in der Nähe seiner Ordination, Dachgeschoss, Terrasse, Neubau, laut Claudia mit jeweils einem Zimmer für die Kinder, was kein Problem ist, bei fast zweihundert Quadratmetern. Nur für
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