Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Mordkommission 1 hatte ich in den letzten Jahren einige Male zu tun. Er würde unser Verhältnis zwar nicht als durchgehend freundschaftlich bezeichnen, aber in gewissem Sinn verstehen wir uns recht gut. Und er ist ein alter Freund von Droch. Ich habe alle seine Nummern eingespeichert, erreiche ihn am privaten Mobiltelefon. Er ist nicht besonders entzückt, meine Stimme zu hören, und meint, er sei außer Dienst und woher ich diese Nummer überhaupt hätte.
»Haben Sie mir gegeben, für alle Fälle.«
»Für einen bestimmten Fall, nehme ich an. Ich sollte sie wieder wechseln.«
»Ich störe Sie nicht lange, es ist wirklich wichtig«, erwidere ich. Es muss flehentlich geklungen haben.
»Ich bin in der Pause eines Konzertes im Musikverein, ich kann am Abend gut ohne Aufregungen und Journalistinnen leben.«
»Der Exmann einer Fotografin von uns ist in diesem Steinbruch südlich von Wien mit dem Auto abgestürzt. Die beiden Polizeibeamten, die bei ihr waren, haben fast nichts erzählt. Das Scheidungsurteil ist erst gestern rechtskräftig geworden, und sie fragt sich, ob es nicht Selbstmord …«
»Sie wissen genau, dass das nicht in meinen Bereich fällt.«
»Aber Sie kennen die Zuständigen. Gerda ist am Boden zerstört, ich möchte noch jemanden erreichen, der mehr weiß, mit dem wir reden können.«
»Wie heißt der Verunfallte?«
»Dr. Helmut Hofer.«
»Der Arzt?«
»Ja. Sie kennen ihn?«
»Er war jahrelang unser Hausarzt – bis wir zu weit weggezogen sind. Ein ausgezeichneter Arzt.«
»Rufen Sie mich an, wenn Sie jemanden erreicht haben?«
»Ich werde es probieren und melde mich dann.«
»Danke. Vielen Dank. Ich werde …« Ich unterbreche mich, bevor ich aus Dankbarkeit schwer einzulösende Versprechungen mache.
Ich rase zu Gerdas Wohnung. Ihr Mann ist tot. Ihr Ex. Ich kenne den Steinbruch nicht. Wollte er es ihr noch einmal so richtig zeigen? Aber deswegen bringt sich doch keiner um, oder? Für mich ist so etwas unvorstellbar, was habe ich davon, wenn jemand anderes leidet? Ich bin ja tot.
Zuckerbrot ruft mich an, gerade als ich in die Gasse einbiege, in der Gerda wohnt. Wir sollen in die Sicherheitsdirektion fahren, er habe einen der zuständigen Ermittler aufgetrieben, der sei ohnehin noch da, um Akten aufzuarbeiten.
»Er kann sich nicht umgebracht haben«, sagt Gerda immer wieder, als wir Richtung Sicherheitsdirektion fahren.
»Hast du eine Ahnung, was er im Steinbruch wollte?«
»Woher soll ich das wissen? Vielleicht ist das Ganze ja auch eine Verwechslung.«
»Sie haben das Auto, seine Fahrzeugpapiere.«
»Vielleicht hat ihm jemand den Wagen gestohlen.«
Ich sage nicht, für wie unwahrscheinlich ich das halte.
In der Sicherheitsdirektion fragen wir uns zum Büro Schmidt durch. Schmidt ist Anfang dreißig, blass, blond, etwas übergewichtig und wirkt müde. Er spricht Gerda sein Beileid aus und kramt dann in Notizen.
»Ich weiß nicht, wie viel Ihnen meine Kollegen schon gesagt haben, oft ist der Schock so groß, dass es besser ist, am Anfang nicht zu viel zu erzählen …«
»Was weiß man?«, ruft Gerda beinahe.
»Nicht viel. Der Wagen muss gegen 17 Uhr abgestürzt sein, zwei Radfahrer auf der Landesstraße haben den Aufprall gehört und sind zum Steinbruch gefahren. Ihr Mann war offenbar sofort tot. Die örtliche Polizei ist um 17.20 Uhr eingetroffen, da war die Rettung schon da. Ihr Mann muss noch obduziert werden, das ist leider Vorschrift, aber es sieht so aus, als hätte der Aufprall ihm das Genick gebrochen.« Er schaut auf und sieht Gerda ins Gesicht. »Geht es?«
Gerda nickt, sie ist kreidebleich und umklammert die Armlehne des Stuhls.
»Hat man irgendjemanden im Steinbruch gesehen? Kann jemand etwas beobachtet haben?«, frage ich.
»Jedenfalls hat sich bisher noch niemand gemeldet, und die Radfahrer, die den Unfall gemeldet haben, haben ausgesagt, dass der Steinbruch menschenleer gewesen sei.«
»Kann es sein …«, beginnt Gerda und schüttelt dann den Kopf, bringt es nicht heraus.
»Kann es sein«, spreche ich weiter, »dass er Selbstmord begangen hat?«
Schmidt sieht uns neugierig an. »Gibt es Gründe für diese Annahme?«
»Sie sind gestern rechtskräftig geschieden worden. Und ihr Mann hat einen Brief geschrieben, keinen Abschiedsbrief, aber einen Brief an seine Praxismitarbeiter, in dem er sagt, er sei am Ende. Ich habe das eher für eine Aktion gegen seine Frau gehalten, um zu zeigen, wie bemitleidenswert er war, aber …«
Der Beamte blättert erneut in
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