Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
ohne Krampf, irgendwie ist es in dieser Umgebung angenehm selbstverständlich. Das hier könnte auch mein zweites Wohnzimmer sein.
Wir reden über die Siebziger und über Pubertierende und Punk und Terrorismus und Kriminalromane. Inzwischen sind wir bei Jameson gelandet, auch sein Lieblingswhiskey. Und als es schließlich leise wird und dann leer, merken wir das eine ganze Zeit lang nicht. Wir sind die letzten Gäste.
»Du liebe Güte, es ist gleich drei«, sage ich.
Er lächelt. »Was für ein schöner Abend.«
Wir teilen uns die Rechnung, und ich biete ihm an, ihn heimzufahren. Wir haben viel mehr geredet als getrunken.
»Gern«, antwortet er, als wir vor die Tür gehen. Um diese Uhrzeit ist die Simmeringer Hauptstraße menschenleer, graublauer Asphalt, silberglitzernd dort, wo ihn eine Straßenlaterne bescheint. Dunkle Häuser, eine Katze huscht an uns vorbei, von ganz unten im Süden kommt ein Paar Scheinwerfer näher, das Auto passiert uns beinahe lautlos, eine Fata Morgana, dann sind wir bei meinem Wagen angelangt.
»So eine Stimmung sollte man in einem Film einfangen können«, sagt Bruno, und ich verstehe ihn.
»Du sagst mir, wie ich fahren soll?«
Er nickt und dirigiert mich zwei Straßen später nach rechts, dann wieder nach links, geradeaus bis zu einem Kreisverkehr, dort links. »Hier wäre ich verloren«, sage ich.
»Ich bin in Simmering aufgewachsen, war dann lange weg, und inzwischen will ich nirgendwo sonst leben.«
Ich lache leise. »Außer ein paar Monate in Italien …«
»Stimmt schon, am schönsten ist es, wenn man auch weg kann.«
Ich will schon sagen, dass das auf vieles im Leben zutrifft, aber das ist mir dann doch zu philosophisch. Seltsam, mir scheint, als wären wir an diesem Wohnblock schon einmal vorbeigekommen. Er dirigiert mich noch einmal ums Eck, was soll das? Wir fahren direkt an der Bar Geldlos vorbei. Die Schrift über der Tür leuchtet nicht mehr.
»Da, gleich rechts, da wohne ich.«
Ich sehe ihn nicht an, schaue gerade auf die Straße. »Zwei Häuser neben der Bar.«
»Ich habe es einfach schön gefunden, von dir heimgefahren zu werden.« Auch er sieht geradeaus. »Es ist ein altes Fuhrwerkhaus«, sagt er dann und zeigt auf ein eingeschossiges Gebäude zwischen einem Haus aus der Gründerzeit und einem neueren Wohnblock.
»Es sieht seltsam aus zwischen den großen Häusern. Als ob man es beschützen müsste.«
»Haben wir quasi auch getan. Ich habe es gemeinsam mit einem Freund vor dem Abriss gerettet. Willst du es sehen?«
Ich nicke bloß, wir steigen aus, und ich gehe neben ihm her. Er kramt nach dem Schlüssel, sperrt auf, lässt mich eintreten. Gemeinsam mit einem Freund? Vielleicht kann ich deswegen so gut mit ihm reden, vielleicht ist er schwul. Aber das mit den schwulen Männern und ihrem Verständnis für Frauen ist auch nur ein Klischee. Zumindest kenne ich einen, der sieht und hört nur sich. Ein Typ aus der Werbebranche. Ich bin nur hier, um rasch einen Blick in dieses interessante alte Fuhrwerkhaus zu werfen, solche Häuser sind in Wien sehr selten.
Das Licht in dem großen Raum ist schwach, er hat bloß eine Stehlampe eingeschaltet. Vorraum gibt es keinen. Eine Mischung aus alten Möbeln und Ikea, gar nicht übel.
»Ich habe alle Zwischenwände weggenommen«, erklärt er.
»Und wo ist dein Freund?«, frage ich möglichst harmlos.
»Wer? Ach so, der, mit dem ich das Haus gerettet habe. Der wohnt schon lang nicht mehr hier, er ist nach Linz an die Uni gegangen. Inzwischen ist er ordentlicher Universitätsprofessor. Wir werden alt.«
»Sehr schön«, sage ich und meine natürlich das Haus.
Er geht zu einer hölzernen Truhe, öffnet sie, fördert eine Flasche Whiskey zutage. »Ein sehr seltener Whiskey, den ich aus Irland mitgebracht habe.«
Er holt zwei Gläser, und ich sehe hinaus in einen kleinen Hof mit einer gemütlichen hölzernen Sitzgarnitur.
»Da draußen schreibe ich, wenn es das Wetter zulässt«, sagt er leise hinter mir. Er reicht mir ein Glas, ich sehe weiter hinaus, ich höre, wie er einen Schluck nimmt, nehme auch einen. Nachtfarben. Braun und Grau und Blau, bis hierher schafft es der Schein der Stehlampe kaum.
Der Whiskey schmeckt rauchiger als der Jameson, würziger, wie gemacht, um die Kälte zu vertreiben, um es warm werden zu lassen im Magen und sonst wo.
Bruno hat sich langsam, ganz langsam, von hinten über mich gebeugt. Er riecht gut nach Whiskey und der Bar und einem Hauch von noch irgendwas, das mir bekannt vorkommt.
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