Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
fünfundsechzig. Er soll sich besser gleich daran gewöhnen, dass ich nicht immer da bin. Dann kann später auch niemand behaupten, ich hätte mich überraschend verändert.
Was ist, Mira? Planst du vielleicht gleich deine Scheidung ein?
Ich habe meinen Reportagetext über die Drehbuchautoren ausgedruckt in der Tasche, fische ihn auf dem Gehsteig heraus. Man sollte bei diesem Peter etwas intensiver nachforschen. Er wirkt so offen, aber immerhin versteht er etwas von Inszenierung, muss er wohl in seinem Beruf. Da gibt es doch einen, mit dem er immer wieder gemeinsam Drehbücher geschrieben hat. Ich überfliege die Reportage, so ein großer Blonder war das, schien ziemlich eingenommen von sich selbst, ein ganz anderer Typ. Genau, Bruno Hörl heißt er. Wo treiben sich Drehbuchautoren am Abend herum? Hat er mir nicht erzählt, dass er ein paar Monate im Jahr in Italien lebt? So etwas möchte ich mir auch leisten können. Italien, Veneto. – Vielleicht ist es doch keine so schlechte Idee, zu heiraten. Wir könnten auf Hochzeitsreise ins Veneto fahren. Armando würde uns ein mindestens sechzehngängiges Hochzeitsmenü zubereiten, er hat etwas übrig für Hochzeiten.
Ich rufe mich wieder zur Ordnung und lese weiter im Text – wie schnell ich vergesse, was ich geschrieben habe. Glück gehabt. In einem Nebensatz erwähnt dieser Bruno Hörl sein Lieblingslokal: die Bar Geldlos, ziemlich berühmt inzwischen für das unkonventionelle Konzept, quasi ein Gegenstück zu den schicken Bars der Innenstadt. Nur ist mir das Lokal bisher immer zu weit weg gewesen, ganz unten an der Simmeringer Hauptstraße. Okay, mein Auto steht zwei Straßen weiter, los.
Die Bar ist offenbar in einem alten Gasthausgebäude untergebracht, über der Tür leuchten abwechselnd in roten Neonbuchstaben die Wörter »BAR« und »GELDLOS« auf. Ich öffne die Eingangstüre aus Pressglas und Alu. Schicke Sache aus den Siebzigern – und so praktisch. Der Raum ist weniger dunkel als vermutet, die ehemalige Schank ist zu einer Theke umgestaltet worden, auf beiden Seiten Hocker, aus einem hinteren Zimmer klingt laute, schräge Musik. Punk, würde ich sagen, seltsamerweise mit viel Dudelsack dabei.
Hierher allein zu kommen ist kein Problem. Man wird wahrgenommen, aber nicht sofort angebaggert. Vorteil der Alternativkultur. Ein Kellner nickt mir zu, ich erobere mir einen Platz an der Theke, setze mich. Nach Bruno Hörl kann ich auch später noch suchen. Das Weinangebot steht in Kreide auf alten Schiefertafeln, ich kneife die Augen zusammen, um es zu entziffern, klingt gar nicht schlecht. Ich bestelle einen Riesling aus dem Weinviertel und frage nach etwas zu essen.
Man reicht mir eine überdimensionale Speisekarte – ein Zitat auf pseudovornehme Lokale vergangener Zeiten. Vielleicht handelt es sich aber auch bloß um die Karte, die es im Gasthaus gegeben hat, bevor es zur Bar wurde. Ich klappe das weinrote Kunstledermonster auf, drinnen nur ein Blatt beschriebenes Papier. Man kann zwischen »heißer Kabanossi, extralang, extrascharf«, »ganz frischem Dosengulasch mit vielen Zutaten zum Selberwürzen«, »Sardellenringerlbroten« und »biologischem Krautsalat im Glasl« wählen. Daneben gibt es Grafiken, die, in Anlehnung an die Fotos von Speisen in vielen asiatischen Lokalen, das jeweilige Gericht darstellen sollen. Lustig. Trotzdem: Eine Spur mehr Kulinarik würde auch so einem Antistyle-Lokal nicht schaden.
Allerdings ist die Kabanossi, die ich nur wenig später serviert bekomme, wirklich extralang, extrascharf – und extragut. Ich versuche, die mehr als einen halben Meter lange dünne Wurst nicht versehentlich in ein Glas meiner Nachbarn zu tunken und auch sonst niemanden damit zu belästigen. Mir wird angenehm warm im Magen.
»Was ist das für Musik?«, frage ich den Barmann und deute auf den Nebenraum.
»Schottischer Punk, total geil. Heute legt DJ Waldemar auf, der ist wirklich gut«, antwortet er, und ich versuche, den Text der Nummer zu verstehen. Er scheint von einer Frau zu handeln, die von zwei Männern geliebt wird und die lieber tanzt als putzt. Ich habe meine Wurst aufgegessen und überlege, in den Raum mit der Musikanlage zu gehen und nach Bruno Hörl oder Peter Königsberger zu suchen. Eigentlich ziemlich unwahrscheinlich, dass sie ausgerechnet heute Abend hier sind. Andererseits: Hörl sagt in meiner Reportage, die Bar Geldlos sei sozusagen sein zweites Wohnzimmer. Bevor ich mir noch überlege, ob ich mich zu einer Suchaktion aufraffe
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