Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
gefallen, dass sich so einer für sie interessiert. Vielleicht hat sie irgendwo auch Sicherheit und Beständigkeit gebraucht, einen Ruhepunkt im Leben, wer weiß? Und als sie mit zwanzig schwanger wurde, haben sie sofort geheiratet.«
»Hat man sie gezwungen?«
»Nein, sie waren ein Paar, und es war irgendwie klar. Ich glaube, ich habe nur einmal kurz mit ihr darüber geredet, es war am Tag vor der Hochzeit. Sie hat gemeint, sie müsse ihrem Kind doch ein Heim geben. Das hat nicht wirklich nach ihr geklungen, aber sie hatte sich eben auch verändert in dem Jahr mit Helmut. Natürlich war es meinen Eltern lieber, dass sie geheiratet haben, aber das war es nicht. Und er hatte zu seinen Eltern schon damals keinen Kontakt mehr. Sie waren auch nicht auf der Hochzeit, ich glaube, sie wussten gar nichts davon.«
»Seltsam, sein Verhältnis zu seinen Eltern.«
»Ich kann das nur als Schwester beurteilen, nicht als Psychologin, dafür bin ich zu voreingenommen und geprägt durch die Ereignisse der letzten Monate. Jetzt sage ich auch: sehr seltsam, wahrscheinlich der erste Fall, wo sich sein extremes Freund-Feind-Denken gezeigt hat.«
»Gerda sagt, er hatte keine Freunde.«
»Da ist schon etwas dran. Er war viel zu sehr auf die Arbeit und auf die Familie konzentriert. Und er war wohl immer schon ein Einzelgänger. Aber bis vor ein paar Jahren hat er immerhin einmal die Woche Volleyball gespielt. Ich kenne einen aus der Mannschaft. Er hat mit mir studiert, ist dann aber Lehrer geworden.«
»Haben Sie seine Telefonnummer? Eine E-Mail-Adresse?« Könnte ganz interessant sein, mit seinem Sportkollegen zu reden.
»Nicht hier. Wenn Sie mir Ihre Mail-Adresse geben, dann schick ich sie Ihnen von zu Hause.«
»Und wie schaut es mit Jugendfreunden aus? Gibt es da gar niemand?«
»Da müssen Sie Gerda fragen, aber ich glaube, er hatte mit niemandem von früher Kontakt. Er hatte mit Sicherheit keine schöne Kindheit – und das ist eine Untertreibung.«
»Gerda hat mir einmal gesagt, Sie hätten sie gewarnt: Wer aus einem gewalttätigen Elternhaus kommt, kann sich von den Mechanismen schwer lösen.«
»So habe ich es sicher nicht formuliert. Er … Ich glaube nicht, dass er seine Kinder jemals geschlagen hat. Er war ein sehr ruhiger, besonnener Mensch. Gerda war es, der zwei-, dreimal die Hand ausgerutscht ist, wie man so schön sagt. Aber ich weiß nicht, was geschehen hätte können, wenn er sich von ihr in die Enge getrieben fühlte … Es wäre wohl eher eine Angstreaktion gewesen, ich wollte nie ausschließen, dass er sie in einer extremen Situation nicht auch körperlich angreifen könnte.«
»Ich habe zufällig miterlebt, wie er sie nicht aus der Wohnung lassen wollte.«
»Gerda hat mir davon erzählt. Ich will ihm nicht Unrecht tun, aber er hätte wohl professionelle Hilfe gebraucht.« Elisabeth Novotny seufzt. »Ansonsten ist er mir einfach ziemlich auf die Nerven gegangen. Er hat sich benommen wie ein – Entschuldigung – Arschloch. Meine Schwester war völlig fertig. Tut mir leid, aber es ist wahr.«
»Können Sie sich vorstellen, dass Ihre Schwester …?«
»Das kann sich keine Schwester vorstellen«, kommt es sehr schnell zurück.
Ich sehe sie aufmerksam an. Die Augen sind die gleichen wie die von Gerda, nur die Fältchen drum herum, die hat Gerda noch nicht.
»Nein«, sagt sie dann. Und noch einmal, mit Nachdruck: »Nein, sicher nicht.«
Es ist dunkel geworden, ich sehe den Autos, die durch die schmale Straße fahren, nach, alle sind jetzt auf dem Heimweg. Oder auf dem Weg zu einer Verabredung. Ich frage mich: Was jetzt? Doch heim zu Oskar? Wieder einmal einen Abend mit Kollegen aus der Redaktion? Ich weiß, in welchen Lokalen man sie treffen kann. Aber die klassischen Journalistenlokale sind mir schon lange unsympathisch, immer dieselben Leute und immer dieselben Themen – heute wird es sicher viele extrakluge Kommentare über Terrorismus und seine Folgen geben. Da sitzen dann diese älteren Männer, die meinen, sie hätten wirklich etwas zu sagen, nur weil sie beim Fernsehen arbeiten oder Ressortchefs sind, und erklären dem Rest der Anwesenden, wo es lang geht. Und je jünger und weiblicher die Kollegen, desto hingebungsvoller wird gelauscht. Kann ja auch ganz gut für die Karriere sein.
Ich habe einen friedlichen, ruhigen Abend mit Oskar vertan. Irgendwo in der Nähe essen oder bei mir oder bei ihm, eine schöne Flasche Wein …
Ach was, das kann ich auch noch haben, wenn ich sechzig bin. Und er
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