Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
tragen.«
Na ja, wenn sie meint.
Die nächsten Stunden habe ich nicht viel Zeit, mir Gedanken über den Brief oder über die ehemalige Sprechstundenhilfe zu machen. Oskar taucht überraschend mit einer Einladungskarte für die Hochzeit auf.
»Brauchen wir so etwas?«, frage ich.
»Meine Mutter …«
Ich nicke ergeben, ich bin mit mir übereingekommen, bis zur Hochzeit – fast – alles zu akzeptieren, was seine Mutter will. Danach freilich … Habe ich mir überhaupt schon überlegt, wie sie sich danach in unsere Beziehung einmischen könnte? Als Schwiegermutter? Die Märchen enden nicht zufällig immer mit der Hochzeit … Bisher war ich seine Freundin, also nichts, was sie besonders viel anging, als Ehefrau aber … Ich und Ehefrau – das passt irgendwie nicht.
Oskar wundert sich, dass er ohne jeden Kampf mein Einverständnis bekommt. »Ich finde sie eher … einfallslos«, sagt er schließlich.
»Ich auch«, erwidere ich und meine: »Gehen wir heute Abend essen?«
»Heute kann ich nicht, ich muss mit dem Vorstand der Mobiltelefongesellschaft essen gehen, aber du könntest mitkommen.«
Ich lehne dankend ab, so ein ruhiger Abend zu Hause, nur Gismo und ich, das hat auch was. Den Drohbrief zeige ich Oskar nicht, wer weiß, ob er nicht ein Drama daraus macht.
»Wir brauchen eine Gästeliste«, erinnert er mich noch.
»Was? Die macht nicht deine Mutter?«, spöttle ich.
Oskar seufzt. »Ich weiß, dass das nicht ganz einfach ist für dich …«
»Die Gästeliste?«
»Ach, du weißt schon.«
»Das Heiraten?«
»Die Umstände …«
»Wir haben es ja bald überstanden.« Kann sein, dass er sich etwas Liebevolleres erwartet hat, aber er ist trotzdem irgendwie beruhigt.
»Ich muss weiter«, verabschiedet er sich und küsst mich leicht auf den Mund. Man kann sagen, was man will, die Chemie zwischen uns passt. Ob das auf Dauer ausreicht? Ob es so bleibt?
Während ich noch grüble, kommt Vesna, um sich den Drohbrief zu holen. Auch sie hat keine Idee, von wem er stammen könnte. Wir haben mit den potenziell Verdächtigen schon wochenlang zu tun gehabt, warum schreibt jemand ausgerechnet jetzt einen Drohbrief? Mit Nicole haben wir erst heute geredet.
»Wenn sie ihn heute abschickt, kann er nicht bereits angekommen sein«, sage ich zu Vesna. Sie dreht das Kuvert um, über den Fingern ein Papiertaschentuch. »Keine Marke!«, sagt sie triumphierend. Liebe Güte, das ist mir gar nicht aufgefallen.
»Das ist gut«, meint Vesna, »dann muss ihn jemand gebracht haben.«
Ich rufe unsere Sekretärin an.
Ja, sagt sie, da sei ein Brief ohne Absender für mich abgegeben worden, sie habe ihn zuerst gar nicht annehmen wollen, aber vielleicht wollte jemand das »Magazin« anonym mit Informationen versorgen, soll ja schon vorgekommen sein, und außerdem hätte der Bote sonst sicher Probleme bekommen.
»Wie hat der Bote ausgesehen?«
»Wie? Keine Ahnung, wie diese Fahrradboten eben alle aussehen, jung und schlank und mit einer dunklen Fahrradbrille und Helm.«
»Von welcher Firma war er?«
»Also darauf habe ich wirklich nicht geachtet. Die Zustellung war bezahlt. – Was ist mit dem Brief?«
»Nichts, ich habe mich nur gewundert. War es ein Mann oder eine Frau?«
»Ein Mann, würde ich sagen, aber eher zierlich. Wenn du mich so fragst, theoretisch könnte es auch eine Frau gewesen sein … mit wenig Oberweite, aber die Windjacke verdeckt ja so einiges.«
»Irgendwie passt der Text nicht zu der ehemaligen Sprechstundenhilfe«, sage ich zu Vesna.
Sie packt den Brief mit einer Sorgfalt ein, als wären es die Kronjuwelen. Zwei Stunden später weiß ich, dass es nur eine Art von Fingerabdrücken auf dem Kuvert gibt, und die sind von unserer Sekretärin.
»Woher hast du ihre Fingerabdrücke?«, frage ich Vesna am Telefon.
»Ich habe ihr Blatt mit einer Adresse in die Hand gegeben und gefragt, ob sie mir sagen kann, wo das ist.«
»Es sind auch keine von dem Fahrradboten drauf?«
»Du bist gut«, lobt mich Vesna, »habe ich auch schon gedacht. Wahrscheinlich war er der Schreiber – oder sie. Oder er hat Handschuhe angehabt, hat ein Teil von Boten. Aber es war warm, da haben sie eher Handschuhe ohne Finger … Was ich noch tun kann: Botendienste anrufen und nachfragen. Und versuchen herauszufinden, woher die Buchstaben ausgeschnitten sind. Aber das braucht viel Zeit.«
»Hast du so etwas schon einmal gemacht?«
»Ich bin erst knappes Monat bei Detektiv. Aber ich habe eine Menge Fachliteratur. Und
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