Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Vesna nach.
»Nein, natürlich nicht. Ich habe ihn sehr geschätzt, aber ein Verhältnis …«
»Haben Sie anderen Freund?«, fragt Vesna.
»Das geht Sie nun wirklich nichts an. Aber nein, habe ich nicht zur Zeit.«
Ich sehe Nicole Frohner an. Sie ist jung, aber nicht mehr zu jung, attraktiv, versteht ein bisschen etwas von Medizin und war eine eifrige Sprechstundenhilfe. Ich kann mir schon vorstellen, dass sich Dr. Hofer gerne mit ihr getröstet hat – zumindest wenn er wegen der Scheidung nicht ganz so zerstört war, wie er behauptet hat.
»Was halten Sie von Gerda Hofer?«, frage ich langsam.
»Ich kenne sie kaum.«
»Wie denken Sie über die Scheidung?«
Sie zögert. »Seine Frau … hat ihn sicher sehr verletzt, er war jemand, der sich auf andere Menschen verlassen können wollte. Das hatte damit zu tun, dass er so angestrengt gearbeitet hat. Und Loyalität war ihm sehr wichtig. Sehr, sehr wichtig. Sie hat ihn betrogen.«
»Die volle Schuld trifft also Gerda Hofer.«
»Ja … ich meine … ich weiß es natürlich nicht, vielleicht hat sie es auch nicht so leicht gehabt mit ihm und seinen Prinzipien. Richten Sie ihr bitte mein Beileid aus. – Wann ist übrigens das Begräbnis?«
»Die Leiche ist von der Gerichtsmedizin noch nicht freigegeben«, sage ich.
Sie sieht aus, als würde sie gleich in Ohnmacht fallen. Die Vorstellung einer Obduktion kann für eine Medizinstudentin doch nicht so schlimm sein, aber sie wirkt mir ohnehin etwas zu zart besaitet für so ein Studium.
»Wo waren Sie am Tag, als Dr. Hofer ermordet worden ist?«, fragt Vesna. »Nur Ordnung halber.«
»Ich …«, sie fängt sich wieder, »ich habe der Polizei schon eine Aufstellung gemacht, ich kann sie Ihnen ausdrucken.«
Sie geht zum Schreibtisch im Eck, ihr PC läuft, sie öffnet eine Datei und druckt sie aus.
»Wie lange waren Sie bei Dr. Hofer?«
»Zwei Jahre.«
»Und jetzt plötzlich wollen Sie weiterstudieren?«
»Viel länger kann ich nicht mehr warten, sonst bin ich zu alt. Und es wird immer schwieriger, einen Studienplatz zu bekommen. Ich hoffe, ich schaffe es.«
»Warum haben Sie nicht mit Oktober gekündigt, sondern schon im August?«
»Weil … Ich brauche doch Zeit, um mich wieder einzulesen, um zu lernen.«
Wir bedanken uns und verabschieden uns. Im Stiegenhaus sehen wir einander an. Eigentlich könnte man ihr glauben, aber …
»Irgendetwas ist«, sagt Vesna, und ich nicke.
[ 10 ]
Ich sitze in der Redaktion, sehe die Post durch und überlege, ob die rothaarige Nicole die Wahrheit gesagt hat. Ihr Alibi für den Mordtag ist ganz gut, die Polizei hat es sicher überprüft.
Am Vormittag hat sie daheim gelernt, danach war sie im Lebensmittelgeschäft um die Ecke, dann wieder daheim. Am Nachmittag ist sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln in die Shopping City gefahren, ein neues Outlet bietet Designerkleidung zu Billigstpreisen an. Sie hat um insgesamt 153 Euro Jeans, zwei Pullover, eine Jacke und ein Paar Schuhe gekauft. Rechnung mit Zeitangabe ist vorhanden: 18.21 Uhr. Theoretisch also möglich, dass sie ihren ehemaligen Chef und vielleicht auch Geliebten ermordet hat und dann zum Shoppen gefahren ist. Aber ohne Auto? Der Steinbruch sieht mir nicht eben nach einer guten öffentlichen Verkehrsanbindung aus. Zuckerbrot wird das überprüfen und auch, ob sie jemand im Bus zur Shopping City gesehen hat.
Wie ist Philipp ausgerechnet auf Nicole gekommen?
Ich blättere weiter in der Post. Ein paar Einladungen zu Pressekonferenzen, ein böser Leserbrief, in dem ein gewisser »Freund des Abendlandes« meint, ich würde den Terrorismus verharmlosen. Noch ein Brief ohne Absender. Ich öffne ihn und sehe ein Blatt Papier mit aufgeklebten bunten Buchstaben. Diese Leserbriefschreiber werden immer schrulliger.
Da steht: »HÖR AUF SONST STIRBST AUCH DU!«
Bezieht sich wohl eher doch nicht auf einen meiner Artikel. Ich überlege, ob ich das Schreiben der Polizei übergeben soll, und rufe erst einmal Vesna an. Irgendwie gelingt es diesem Drohbrief nicht, mir Angst einzujagen. Ich frage mich nur, wer ihn geschrieben haben kann.
Vesna meint, ich darf ihn nicht berühren.
»Und wie hätte ich ihn dann aus dem Kuvert nehmen sollen?«
»Mit einer Pinzette.«
»Und was, wenn ich vorher nicht weiß, dass es ein Drohbrief ist?«
»Greife ihn jetzt nicht mehr an. Wir haben ein Labor, mit dem wir arbeiten, kann ihn auf Fingerabdrücke untersuchen lassen. Auch Kuvert, da vergessen sie immer wieder drauf, Handschuhe zu
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