Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
Fantasie.«
»Ich halte den Brief nicht für besonders wichtig.«
»Stimme ich zu«, sagt Vesna und legt dann rasch auf, ihr Chef ist ins Zimmer gekommen, und wie sehr er solche privaten Ermittlungen mag, sollte sie besser erst gar nicht herausfinden.
Am Abend kurve ich heim, und das Einzige, was ich mich frage, ist, was es heute im Fernsehen gibt. Ich finde einen Parkplatz in meiner Gasse und gehe durch die Toreinfahrt. Aus unserem winzigen Innenhof, der den Toiletten etwas Licht und Luft gibt und jetzt in erster Linie Abstellplatz für die paar Mülltonnen ist – hier riecht es vor allem im Sommer entsprechend –, höre ich etwas. Ein Maunzen. Die verdammte Glühbirne ist schon wieder kaputt. Gismo. Es klingt irgendwie anders, dumpf. Aber zu gut kann ich mich an den Abend erinnern, als ich Gismo zuerst im Stiegenhaus und dann auf der Straße gesucht habe. Und sie fand: leblos, im Rinnstein, voll Blut und Schmutz, von einem Auto angefahren, der Lenker war nicht einmal stehen geblieben. War ja nur eine Katze.
»Gismo?«, flüstere ich.
Wieder Maunzen. Verdammt. Es klingt nicht nach Gismo, aber im Finstern … Und vielleicht steckt sie in einer Tonne oder in einer abgestellten Schachtel oder … Ich öffne die Tür zum Innenhof. In dem Dunkel sehe ich fast nichts. Ganz abgesehen davon, dass ich es hasse, wenn es so finster ist. Fünf Stockwerke ragen rundherum auf, die Mauern scheinen sich unter dem Dach fast zu berühren. Gefangen in einem dunklen, übel riechenden Turm. Niemand hat das Licht in seinem WC-Fenster an. Ich stoße mit dem Schienbein gegen eine Mülltonne und fluche.
»Gismo!«, sage ich jetzt schon fordernder. Diese Katze soll verdammt noch einmal herkommen.
Dann ein Rumpeln und ein Schlag, ich habe ihn nicht kommen sehen, natürlich nicht, wie auch, er trifft mich auf der Wange, ich taumle, falle, knalle mit dem Hinterkopf gegen eine Mülltonne, kann Plastik so hart sein? Mein Kopf kann das nicht aushalten, er ist eine Melone, die rasch platzt, ich sehe Rot und denke Matsch, und gleichzeitig rapple ich mich auf und will den Angreifer fassen, bekomme ihn an einem Arm oder Bein zu greifen, werde abgeschüttelt, ich heule auf, schrecklicher Widerhall im winzigen Hof, ich hätte früher schreien sollen, er läuft davon, ich hänge zwischen den Mülltonnen fest und denke aus irgendeinem Grund: Erstunken ist noch niemand, aber jemand hat mich geschlagen, erschlagen wurden schon viele, mir wird schlecht, und wieder Schritte, ich ducke mich, Lärm und eine Frauenstimme, sie soll aufhören zu schreien, das tut so weh im Kopf. Eine Taschenlampe. Ich blinzle, wie ertappt, in den Lichtkegel, schließe die Augen.
»Mein Gott!«, schreit die Hausbewohnerin aus dem ersten Stock, und mir ist so schlecht, dass ich mich am liebsten übergeben würde, aber ich kann nicht und murmle bloß: »Leuchten Sie bitte woandershin.«
Man hat natürlich die Polizei verständigt, ich wollte das nicht, aber so eine Hausgemeinschaft … Ich sitze im Wohnzimmer von Frau Gerber, und sie gibt stolz an, dass sie mich schreien gehört habe. Die Polizeibeamten nehmen alles zu Protokoll, vor allem aber Namen und Wohnadresse, das ist ja auch das Eindeutigste, das hier festgestellt werden kann. Die anderen paar Hausbewohner, unter ihnen der, den ich insgeheim den Blockwart nenne – ein rüstiger Fünfundachtzigjähriger, der seit der Einsparung des Hausmeisters dessen Überwachungsagenden wahrnimmt, offiziell heißt er Hausvertrauensmann –, sind ebenso dabei wie das ältere Ehepaar, das erst vor kurzem eingezogen ist. Irgendwie kommt es mir vor, als wäre ich hier nicht das Opfer, sondern die Täterin – Störerin des Hausfriedens und der abendlichen Ordnung.
Ich wehre ab, als mir die beiden recht sympathischen Polizeibeamten am Ende der Amtshandlung nahelegen, einen Krankenwagen zu rufen. Ich habe auf der Wange und am Hinterkopf je eine Platzwunde, beide haben bereits aufgehört zu bluten. Ich will heim. – Hinauf in meine Wohnung? Und was, wenn … So tapfer bin ich doch wieder nicht. Ich bitte die beiden Beamten, mich hinaufzubegleiten, für alle Fälle. Sie keuchen mindestens ebenso wie ich, als wir oben angelangt sind. Gismo brüllt wie immer, wenn ich komme, und ich bin erleichtert.
Ich sperre auf, Gismo sieht die beiden in Uniform irritiert an, faucht und bläst sich gleichzeitig auf doppelte Größe auf.
Ich versuche entschuldigend zu lächeln, aber daraus wird nicht viel, die Wunde auf dem Backenknochen schmerzt zu
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