Verschieden - ein Mira-Valensky-Krimi
fürchte ich, nichts gegen alle saftigen Details. Mein Problem ist bloß: In gewisser Weise kann ich Gerda verstehen.
Zuckerbrot geht spät, und ich mache Vesna das Sofa im Wohnzimmer zurecht. Meine Angst ist weitgehend verflogen, ist daran der Whiskey schuld? Die beiden Wunden pochen, aber die Schläge waren nicht besonders wuchtig. Als Tatwerkzeug tippt Zuckerbrot auf einen Stock oder auf einen Golfschläger. Niemand hat den Angreifer fliehen gesehen. Hätte er einen langen Stock bei sich getragen, er wäre in der Gasse wohl aufgefallen … Aber wer weiß. Oder er hat das Haus gar nicht verlassen und lauert noch immer im Keller. Nein, ich habe gehört, wie er durch die Einfahrt nach draußen gelaufen ist. Die Schritte waren nicht laut, eher dumpf. Lässt auf Turnschuhe schließen, aber so etwas trägt heute ein jeder.
Bruno hat schon wieder eine SMS geschickt: »Nur für den Fall, dass du die erste SMS nicht bekommen hast: Können wir uns sehen? Bruno (will dich nicht belästigen, haha)«. Mein Kopf schmerzt, ich nehme ein Aspirin und dann zur Sicherheit gleich noch zwei, das wird mich nicht umbringen. Die Wunde am Hinterkopf pocht noch etwas, dank meiner vielen Haare kann man sie wenigstens nicht sehen. Der Cut auf der Wange sieht hingegen eher abenteuerlich aus, nichts, was sich kaschieren ließe. Womöglich bleibt mir eine Narbe im Gesicht, ich hätte die Wunde vielleicht doch nähen lassen sollen.
Vesna ist ganz früh aufgestanden, hat bereits alle Küchenkästen geputzt und im Wohnzimmer den Boden aufgewischt. »Komme ich sonst momentan schlecht dazu«, meint sie, »und habe ich dir versprochen.«
Ein bisschen mehr oder weniger Staub ist momentan nicht mein vorrangiges Problem. Wir streichen das Frühstück, dopen uns bloß mit extrastarkem Kaffee, und ich bin Vesna dankbar, dass sie nicht fragt, ob ich überhaupt schon in der Lage sei, aus dem Haus zu gehen. Ich will es sein und basta.
Vor meiner Wohnungstür entdecke ich den nächsten Drohbrief. »DAS WAR NUR DIE ERSTE WARNUNG«, steht in bunten aufgeklebten Zeitungslettern zu lesen. Wie ist er ins Haus gekommen? Andererseits: Besonders schwierig ist das nicht. Man braucht nur zu warten, bis irgendein Hausbewohner aufschließt. Oder bis einem Zusteller geöffnet wird. Ganz abgesehen davon, dass die Türe hin und wieder ohnehin bloß angelehnt ist.
»Mutig«, sagt Vesna, »das kann leicht auffallen.«
Sie besteht darauf, bei allen Hausparteien zu klingeln und nachzufragen. Aber niemand will jemand Fremden oder gar Verdächtigen gesehen haben. Mehr noch als gestern Abend habe ich heute das Gefühl, dass mich die meisten Mitbewohner als Störfaktor ansehen, denn durch mich kommen ja potenzielle Schläger und ähnliches Gesindel ins Haus.
Wir müssen mit Peter reden. Vesna und ich sind sicher, dass Zuckerbrot nicht nur Gerda, sondern auch ihn erneut ins Visier nehmen wird. Bloß: Wenn ich an Bruno denke, wird mir anders. Wenn er Peter von unserer Nacht erzählt hat und er das herumposaunt … Aber was soll’s.
Zu Hause erreichen wir ihn nicht. Ich will schon aufatmen, doch Vesna lässt nicht locker, und so finden wir nach einiger Zeit heraus, dass Peter Königsberger bei Dreharbeiten zur Serie »Vienna Airport« ist.
Wir fahren zum Set, der nicht am Flughafen, sondern in einer Seitenhalle des Westbahnhofs aufgebaut wurde, und beobachten die Szene: Kameras und auf wichtig herumlaufende Assistentinnen, ein paar an der Grenze zur Magersucht, Schauspieler, die auf ihre Szene warten, Regisseur, Regieassistent, Maskenbildner, eine Fotografin und etwas abseits Peter mit einem hageren Mann um die fünfzig. Alles ist in Bewegung, aufgeregt und aufregend, dabei wird momentan gar nicht gedreht, immer wieder bleiben Schaulustige stehen. Ich werde dem Chefredakteur eine Reportage über den Drehort Wien vorschlagen. Drehbücher zu schreiben, das wäre auch etwas für mich … Ich stutze: Würde Peter sein gutes Leben wegen Gerda aufs Spiel setzen? Die Frage ist natürlich, wie er sein Leben selbst sieht. Begeht er einen Mord, nur um sie von ihrem Exmann zu befreien? Oder weil er wegen der Detektivrechnung wütend geworden ist? Andererseits: Es ist eine Tatsache, dass er zu Dr. Hofer ins Auto gestiegen ist.
Ich nicke Vesna zu, und wir gehen um den Set herum zu Peter Königsberger. Er spricht gerade mit einem hageren Mann um die sechzig und sieht uns irritiert an. Von seiner Freundlichkeit ist wenig geblieben.
»Können wir mit Ihnen reden?«, frage ich mit einem
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