Verschleppt
Junge war so verängstigt und er hatte beinahe Mitleid mit ihm. Doch das Mitleid verschwand schnell und er wollte nur noch eins: Seinen tiefen Drang ausleben. Er würde die Schreie nie vergessen und sie beruhigten ihn heute noch. Er atmete tief durch. Die Erregung kam zurück, er spürte sie. Er ging langsam zur Tür und schob den Riegel beiseite. Sie knarrte und ihm war freudig bewusst, dass die Kinder in diesem Moment wussten, dass er kommt. Er grinste, als er das dunkle Gewölbe vor sich sah. Er machte auch hier nicht das Licht an, sondern stand wie ein schwarzes Gespenst in der Tür. Minutenlang, ohne sich zu bewegen. Diesen Moment genoss er besonders. Die Kinder beobachteten ihn und es war ihm, als könne er ihre Angst bis hier oben riechen, den immer schneller werdenden Herzschlag hören. Er schluckte und ging langsam die Stufen hinab, seine Augen hatten sich an die Dunkelheit gewöhnt. Er schaute nach rechts und da war die Zelle von Jason. Er saß panisch in der Ecke auf dem Boden, die Arme um seinen kleinen Körper geschlungen. An ihm hatte er sich schon oft genug ausgetobt, also ging er weiter. An Mädchen war er nicht interessiert, also kam Jessica nicht in Frage. Um den Neuen konnte er sich noch oft genug kümmern, also blieb nur der kleine Dicke, Scott. Er blieb vor seiner Zelle stehen und schloss die Tür auf. Ganz langsam ging er hinein, sein Puls kam in Fahrt, seine Hände rieb er sich gierig in voller Vorfreude auf das, was jetzt kommen mag. Er stand unmittelbar vor Scott, der zusammengekauert auf seiner dreckigen Matratze lag. Scott hatte die Augen fest zugekniffen, bevor er sie angsterfüllt aufschlug und sofort winselte: „Nein, bitte nicht.“
Kapitel 13
Shawn schickte seinen Leuten das Phantomfoto und dieses erschien am selben Abend noch in sämtlichen TV-Nachrichtensendungen und am nächsten Morgen in allen wichtigen Zeitungen. Ohne Erfolg. Obwohl wiederholt darauf hingewiesen wurde, dass es sich um einen wichtigen Zeugen und um keinen Verdächtigen handelte, passierte nichts. Niemand meldete sich, niemand kannte diesen Mann. Er blieb ein Phantom. Die Spur, von der sich Sara so viel erhofft hatte, erwies sich als Sackgasse. Bryan war mittlerweile seit drei Tagen verschwunden. Auch das Überprüfen von Kenneth Gore, dem Vater von Bryan, ergab nichts Auffälliges. Seinem Job als IT-Chef einer großen Firma ging er gewissenhaft nach und zurzeit befand er sich auf Geschäftsreise in Deutschland. Er besucht einen Kongress in Köln. Das hatte seine Firma wiederholt bestätigt. Dort wusste man auch nicht, warum er sich nicht meldete. Es gab bisher auf jeden Fall keinen plausiblen Grund. Mehr Fragen als Antworten. Sara lehnte sich in ihrem Bürostuhl zurück und drehte einen Stift zwischen ihren Fingern hin und her. Sie starrte ein Bild von Noah an, das auf ihrem Tisch stand. Es wurde an seinem 5. Geburtstag aufgenommen. Er strahlte in die Kamera, vor ihm eine Riesen-Torte. Er ahnte damals noch nichts von den Problemen, die seine Eltern hatten. Sara wurde traurig.
„Sara!“ Cruz riss sie aus ihren Gedanken. „Wir haben den Ehemann.“ „Was? Welchen Ehemann?“, fragte Sara. Cruz starrte sie ungläubig an und beugte sich vor. „Mensch, Kenneth Gore! Den Vater von Bryan!“ Sara stand auf. „Was? Wo ist er? Und vor allem, wo war er?“ Cruz setzte sich. „Er liegt im Krankenhaus. In Köln, Deutschland. Seit drei Tagen. Er hatte einen Unfall, als er mit seinem Kollegen im Mietwagen zu einem Termin fuhr. Er hatte keine Papiere dabei. Und naja, du kennst ja die Behörden. Mit wichtigen Informationen dauert es immer etwas länger über den großen Teich.“ Lilly und Shawn hatten sich mittlerweile zu ihnen gestellt und hörten Cruz aufmerksam zu. Lilly saß halb auf dem Schreibtisch, ihre Arme verschränkt. „Wie geht es ihm?“, fragte sie. „Es geht ihm den Umständen entsprechend gut. Ein paar Knochenbrüche. Er kann in ein paar Tagen zurück nach San Diego fliegen.“ Cruz hatte alles aufgeschrieben. Shawn räusperte sich. „Von unserer Liste der Verdächtigen können wir ihn aber auch streichen.“ Shawn winkte enttäuscht ab. Stille. Sara setzte sich wieder hin und klatschte in die Hände. „Los Leute, weiter. Geht nochmal alles durch. Bis wir irgendetwas haben. Wir dürfen nicht aufgeben.“ Alle gingen zurück zu ihrem Arbeitsplatz. Sara wirkte resigniert. Auf ihrem Schreibtisch lag ganz oben das Phantombild des Unbekannten. Sie studierte es minutenlang. „Wer bist du?“, murmelte
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