Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Verschleppt

Verschleppt

Titel: Verschleppt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Verhoef & Escober
Vom Netzwerk:
schlimmsten waren die Doppelnull-Codierungen: Informationen, mit denen niemand etwas anfangen konnte, wollte oder durfte, aus diversen Gründen. Hintergrundinformationen, die womöglich besonders wertvoll waren, aber nicht verwertet werden durften. Die Frust-Files.
    Joyce hatte seit zwei Monaten eine Verwaltungsstelle bei der CIE, der Criminele Inlichtingen Eenheid, einer Rechercheabteilung der Kriminalpolizei. Die Dienststellenleitung hatte sie hier aufs Abstellgleis geschoben.
    Und das war dummerweise ihre eigene Schuld.
    In Kürze würde eine Entscheidung über ihre Zukunft gefällt werden. Das war keine erfreuliche Perspektive. Es konnte gut sein, dass sie gar nicht mehr in den aktiven Einsatzdienst zurückdurfte. Dass sie bis ans Ende ihrer Tage irgendwelchen Scheiß-Verwaltungskram am Hals hätte.
    In den letzten Monaten hatte ein Betriebspsychologe der Dienststelle sich in ihren Gedankengängen festgebissen und war zu dem Schluss gekommen, dass es sich um das reinste Labyrinth handelte. Enttäuschend schnell hatte er die Orientierung verloren.
    Das hatte nicht nur an seinem begrenzten Einfühlungsvermögen gelegen. Brav hatte sie ihm von dem »Zwischenfall« erzählt, wie ihre Vorgesetzten das Geschehen konsequent nannten. Er hatte zum Beispiel wissen wollen, was sie an dem Tag vor dem Verhör getan hatte: was sie gegessen und getrunken, was sie sich im Fernsehen angesehen und wie sie sich gefühlt hatte. In welcher Weise sie sich zusammen mit ihrem Kollegen auf die Konfrontation vorbereitet hatte. Ob sie vielleicht auf irgendetwas oder irgendjemanden wütend gewesen war.
    Auf all diese Fragen hatte sie klar und wahrheitsgemäß geantwortet.
    Erst als er wissen wollte, wann genau sie ihre Entscheidung getroffen hatte, log sie knallhart. Denn je länger sie darüber nachdachte, desto sicherer wusste sie, dass es nicht eine Entscheidung gewesen war. Sie hatte nicht nachgedacht. Sie hatte reagiert. Mehr nicht.
    Also erzählte sie ihm eine komplett andere Geschichte. Eine, die annehmbarer war, die alle verstehen und akzeptieren würden. Hoffte sie. Eine Erklärung, die darauf abzielte, dass sie ihre alte Stelle wiederbekam, damit sie wieder in freier Wildbahn auf die Jagd gehen und den Ganoven das Leben schwer machen konnte. Statt bloß ihre Akten abzuheften.
    Übrigens war es nicht ihre einzige Lüge. Im Labyrinth in ihrem Kopf war noch so manches zu finden, was bei der Dienststellenleitung wohl kaum auf Verständnis gestoßen wäre. Dinge, für die sie sich auch wirklich schämte.
    Wenn jemand von ihrer Dienststelle Wind davon bekam, womit sie sich in den letzten anderthalb Jahren beschäftigt hatte, wie sehr sie ihre Stellung für ihre eigenen Zwecke missbraucht hatte und welche Ideen sie schon eine ganze Weile beschäftigten, dann dürfte sie wohl für den Rest ihres Lebens auf die Straße, Strafzettel an Falschparker verteilen. Falls man sie nicht gleich der Fürsorge des Staates überließ, was noch wahrscheinlicher schien.
    Ohne goldenen Händedruck.
    Sie schaute auf die Uhr an der Wand. Zehn nach acht. Jim hatte sich ihren Subaru ausgeliehen. Gegen halb neun, wenn seine Schicht im Krankenhaus zu Ende war, würde er sie abholen kommen. Wenn sie den Stapel bis dahin abgearbeitet haben wollte, musste sie sich jetzt ranhalten.
    Die grobkörnigen Frauenfotos, die zum Sortieren vor ihr lagen, hatten allesamt Doppelnull-Codierungen. Eines der Bilder zeigte eine junge Frau, die mit ängstlichem Blick ins Objektiv schaute. Ihr BH sollte wohl sexy wirken. Ein paar zerzauste Haarsträhnen klebten ihr an der Stirn, und ihr Gesicht war voller Flecken. Vielleicht waren es rote, die vom Stress herrührten, vielleicht aber auch blaue, von Schlägen. Wegen der schlechten Auflösung und weil es sich um Schwarzweiß-Aufnahmen handelte, war das schwer zu sagen. Eigentlich war es auch egal, dachte sie, während sie das Foto abheftete. Ob blau, rot oder violett – nach ein paar Tagen in den Händen dieser Bestien bliebe von ihr doch nur ein seinen Peinigern sklavisch ergebenes Wrack übrig, verängstigt und für den Rest des Lebens gezeichnet.
    Die Frau war sehr jung. Das waren sie immer. Zu jung für das, was ihnen angetan wurde. Aber gab es überhaupt ein Alter, in dem es erträglich war, auf grausame Weise misshandelt zu werden, den eigenen Stolz zu verlieren, der eigenen Menschlichkeit und Ehre beraubt zu werden, alles Geliebte hergeben zu müssen und zur Handelsware degradiert zu werden?
    Nicht selten wurden diese

Weitere Kostenlose Bücher