Verschleppt
das Sandwich wortlos weggenommen und ihr stattdessen eine kleine Flasche Wasser an die Lippen gedrückt. Gierig hatte sie so viel wie möglich davon getrunken. Ein Großteil war ihr übers Gesicht und auf die Matratze gelaufen.
Nach ein paar Tagen jedoch übertönte ihr nach Treibstoff lechzender Körper jeden Stolz und jede Scham. Es machte ihr nichts mehr aus, wenn es diesem Arschloch einen Kick verschaffte, ihrem ungeschickten Herumgestocher zuzusehen. Sollte es doch. Sie aß jetzt einfach, was er ihr gab, und zwar so viel sie in der Zeit, die man ihr dafür zugestand, herunterbekam, zweimal täglich. Und nicht nur das. Sie pinkelte auch unter seinem wachsamen Blick, Abend für Abend. Er löste ihre Fesseln um ihre Fuß- und Handgelenke und setzte sie wie ein zusammengeschnürtes Paket aufs Klo. Dann ging er vor ihr in die Hocke und beobachtete krankhaft interessiert jeden Tropfen, den sie in die Schüssel fallen ließ.
Susan hatte einmal etwas über ein Experiment mit Ratten gelesen. Wissenschaftler hatten Versuchstiere in ein Wasserbecken geworfen. Sie mussten um ihr Leben schwimmen. Nach einiger Zeit waren die armen Tiere erschöpft, aber die Ränder des Beckens waren steil und glatt, boten keinen Halt. Eines nach dem anderen gaben die Tiere auf, sanken zu Boden und ertranken. Einige wurden jedoch kurz vorher herausgefischt, sie überlebten das Experiment. Diese warf man später erneut in das Becken, zusammen mit anderen Ratten, für die es das erste Mal war. Es stellte sich heraus, dass jene geretteten Tiere es beim zweiten Mal länger durchhielten. Wenn Susan sich richtig erinnerte, war hiermit wissenschaftlich erwiesen, dass Hoffnung Leben retten konnte.
Genau so kam sie sich derzeit vor – wie eine Ratte in einem von sadistischen Wissenschaftlern betriebenen Labor. Alles in ihr wollte am Leben bleiben, möglicherweise traf ja von irgendwoher noch Hilfe ein. Ihre Hoffnung war das Einzige, woran sie sich klammern konnte, denn ansonsten sah die Lage alles andere als rosig aus.
Tagelang hatte sie das rhythmische Knarren von Betten gehört, zu allen möglichen Tageszeiten, tags wie nachts, und manchmal Schläge, die sogar durch die Wände zu hören waren, gefolgt von Schmerzensschreien. In der Hölle, die hinter diesen Mauern verborgen lag, wurden offenbar Frauen misshandelt, das war das Kerngeschäft, darüber konnte kein Zweifel bestehen.
Susan fragte sich, warum sie hingegen in Ruhe gelassen wurde. Was den Ekelprotz mit den übertriebenen Muskeln, der ihr zu essen und zu trinken brachte und sie auf die Toilette setzte, eigentlich daran hinderte, sich an ihr zu vergreifen. Denn dass er das gern täte, war nicht zu übersehen.
Er erinnerte sie an eine Hyäne, die ihre Beute umkreiste. Der fieberhafte Blick in seinen Augen jagte ihr Angst ein, eine Aura von Verdorbenheit und abgründiger Dunkelheit umgab den Kerl. Und doch hatte er keinen Finger nach ihr ausgestreckt. Jedenfalls noch nicht. Vielleicht war es nur eine Frage der Zeit.
Eines Morgens glaubte sie schon, nun wäre der unvermeidliche Augenblick gekommen. Zu zweit kamen sie zu ihr, ihr Wärter und ein blonder Typ von gedrungener Gestalt. Sie verklebten ihren Mund mit schwarzem Tape, kappten ihre Fesseln, rissen sie brutal von der Matratze hoch und dirigierten sie auf den Flur. Sie konnte sich kaum auf den Beinen halten, alle paar Schritte stolperte sie. Die Männer sprachen kein Wort, stießen sie bloß vor sich her. Sie wurde eine lange, schmale Treppe hinuntergeführt.
Es war das erste Mal, dass sie den Raum verließ und etwas von dem Haus zu sehen bekam, in dem sie sich befand. Sie prägte sich jedes Detail ein. Ein altes herrschaftliches Haus mit hohen Decken und schmalen Fluren, das vermutlich in den sechziger oder siebziger Jahren zum letzten Mal renoviert worden war. An den Decken hingen altmodische Lampen, die ein gelbliches Licht verbreiteten, und an den Wänden Tapeten in einem betagten Grün. Die Einrichtung des früheren Wohnzimmers im Erdgeschoss war ganz anders. Kitschige Ledermöbel in Lachsrosa sowie eine kleine Bar aus Spiegelglas und Hochglanz-MDF. Davor standen goldfarbene Barhocker mit Sitzpolstern aus rosa Samt.
Susan war noch nie in einem Bordell gewesen, aber dieses war eines. Unverkennbar.
Noch etwas entdeckte sie. Ihr persönlicher Gefängniswärter hieß Robby. So wurde er zumindest von dem gedrungenen Blonden angesprochen, der es anscheinend gewöhnt war, dass man ihm aufs Wort gehorchte. Ihn sah sie zum ersten
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