Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
diese
Frau war sie. Linda Roloff. Journalistin aus Leidenschaft und Überzeugung. Radioprofi
mit Leib und Seele. Mehr Gegensatz als Alan Scott und sie konnte es nicht geben.
Er war zu mehr bereit als sie, das hatte sie gelernt, bei allem was zwischen ihnen
passiert war in den Jahren, die sie sich inzwischen kannten. Er hatte seine Erfahrungen
in Deutschland gemacht, und sie hatte ihn mehr als enttäuscht, ohne es wirklich
zu bemerken. Er war ihr gefolgt, hatte versucht, in Tübingen Fuß zu fassen, hatte
hier gelebt und sogar gearbeitet, war bereit gewesen, seine große Liebe Afrika aufzugeben
und zu opfern für die große Liebe seines Lebens.
Linda hatte
es überhaupt nicht wahrgenommen. Es war für sie zur Selbstverständlichkeit geworden.
Sie hatte es von ihm erwartet und nicht als Opfer angesehen, hatte nicht verstanden,
worauf dieser Mann ihr zuliebe verzichtete. Das war ihr erst klar geworden, als
er nach Afrika zurückgekehrt war, enttäuscht und zutiefst in seinen Gefühlen verletzt.
Was er jetzt in Namibia für sie tat und vorbereitete, war eine zweite Chance für
ihre Liebe. Und sie war am Zug.
Doch Linda
Roloff, die coole und toughe Journalistin, die in allen Lebenslagen einen kühlen
Kopf behielt und über einen Verkehrsunfall mit einer ausgelöschten Familie genau
so professionell berichtete wie über die Tulpenblüte auf der Mainau, war sich auch
darüber im Klaren, dass es die letzte Chance für diese Liebe war.
Doch daran
dachte sie nicht, als ihr an jenem Abend der Gedanke kam, den Flug nach Windhoek
zu annullieren.
19
Als Pulle den Pfad entlang kam,
der noch am ehesten an einen Wildwechsel erinnerte, blickte er prüfend immer wieder
zurück, ob ihm jemand vom Werksgelände her folgte. So lief er dem in der Dunkelheit
wartenden Bosnier direkt in die Arme, als dieser ihm wenige Meter vor der Vespa
in den Weg trat und ihm seine haarigen Pranken wie Eisenklammern auf die Schultern
legte.
»Holla,
Bürschchen, wohin des Wegs?«
Seine Stimme
versprühte geheuchelte Freundlichkeit. Jakob Eberle erschrak zu Tode, fuhr zurück
und versuchte, sich dem Griff Zotos zu entwinden.
»Willst
dich wohl vom Acker machen, was? Aber daraus wird nichts! Was hältst du davon, wenn
wir beide jetzt gemütlich zu den Bullen fahren?«
»Po-polizei?«,
stotterte Pulle, der sein Gegenüber sofort an der Stimme erkannt hatte. »Warum Polizei?«
»Unbefugtes
Betreten unseres Werksgeländes? Wir können auch Einbruch dazu sagen! Vielleicht
hast du ja sogar was mitgehen lassen?«
»Und was
denn? Vielleicht den Schrott, den ihr unter den Planen sammelt?«
»Warum nicht?
Aber vielleicht interessieren sich die Bullen auch dafür, was du mit der alten Lene
Grandel gemacht hast?«
Pulle hielt
den Atem an.
»Ich?«,
platzte es schließlich aus ihm heraus. »Wieso ich? Was soll ich denn mit der gemacht
haben?«
Zoto lachte.
»Du hörst wohl kein Radio? Und Zeitung wirst du sicher auch keine bekommen, morgen
– falls du überhaupt lesen kannst! Aber ich kann dir da gerne Auskunft geben!«
Er machte
eine Pause und sagte dann, mit geheimnisvoller Stimme:
»Sie suchen
dich, mein Lieber! Die Beschreibung, die sie von dir durchgegeben haben, könnte
nicht genauer sein. Du wirst von der Polizei verdächtigt, und ich werde mir jetzt
die Belohnung sichern!«
Zoto übertrieb
gekonnt, und sein Spiel ging auf. Der Alte bekam es mit der Angst zu tun, und stotterte
nur noch.
»B… bitte
nicht zur Po-polizei. Die lo-lochen mich doch ein! I… ich kann dir auch Geld geben.
Hier!« Er kramte in seiner Hosentasche herum, holte einen Briefumschlag heraus und
hielt ihn Zoto unter die Nase.
»Geld? Woher
willst du denn Geld haben?«, schnauzte Zoto, riss den Briefumschlag auf und fingerte
Geldscheine heraus. Das spärliche Licht der nahen Straßenbeleuchtung genügte, um
zu erkennen, was er da in den Fingern hielt.
»Schweizer
Franken?«, zischte er. »Wie viel?«
»500.«
»500 Franken?
Woher?«
Der Alte
schwieg.
»Woher?«,
brüllte Zoto und packte ihn beim Kragen.
»Ein Bankfach
in Stein.«
Zoto dachte
nach. Zählte eins und eins zusammen.
»Das Geld
gehört der Alten, stimmt’s? Du hast es für sie abgeholt und sie dann umgelegt, weil
du es behalten wolltest!«
Pulle wollte
den Kopf schütteln, als ihn der Fausthieb des Schwarzbärtigen unvorbereitet in die
Magengrube traf. Pulle ging in die Knie und japste wie ein Ertrinkender.
»Nein«,
stammelte er, »nein, so war es nicht!«
»Nein?«
Ein zweiter Hieb traf ihn im
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