Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)
seiner Stimme. »Bin eigentlich nur noch mal hergekommen, um sie zu füttern
und raus zu lassen.«
»Ich dachte,
nur im Sommer?«
»Schon.
Aber nachdem die schwarze Hexe seit ein paar Tagen hier herumschnüffelt, meint der
Boss, es kann nichts schaden –.« Er stockte. Was ging das die Bullen an!
Sie hakte
bewusst nicht nach, er musste nicht mitbekommen, dass sie Hadé schon getroffen hatte.
So tat sie, als überhöre sie diese Bemerkung und fragte:
»Das heißt,
Sie sind nicht der Besitzer?«
»Ich der
Boss?« Er lachte. »Nö, ich seh’ nur, dass die Arbeit läuft. Bin seine rechte Hand.
Der Boss ist meistens im Büro, und ich schau’ hier draußen nach allem. Aber jetzt,
was suchen Sie hier? Ich frag’ das – glaub’ ich – zum dritten Mal. Bullen waren
schon lange nicht mehr da.«
Es entging
Linda nicht, dass er verstohlen zu der Plastikplane schielte, unter der sie den
Elektroschrott entdeckt hatte. Die Ecke lag noch immer offen, und die matten Monitore
reflektierten schwach aber sichtbar das Laternenlicht.
»Ist denn
alles legal, was hier so läuft?«, fragte sie spitz.
»Na klar,
was glauben Sie?«
»Nun, es
gab’ da doch mal so eine Sache …«, sie bluffte erneut, um ihn aus der Reserve zu
locken. Es gelang.
»Ach, die
Geschichte, das ist doch mindestens fünf Jahre her. Seitdem macht der Boss keine
krummen Geschäfte mehr.«
»Na, dann
müssen Sie ja auch keine Angst vor uns Bullen haben«, meinte sie und klopfte ihm
jovial auf die Schulter.
»Hab’ ich
auch nicht. Trotzdem, der Boss wird wissen wollen, was die Polizei hier sucht.«
Auf einmal drückte er sich gewählt aus, und jede Überheblichkeit war verschwunden.
»Man hat
eine Frau ermordet, keine 100 Meter von hier.«
»Ach so,
das. Hab’ davon im Radio gehört. Die alte Lene Grandel.«
»Der Name
kam auch im Radio?«
»Nö, aber
ich hab’ gefragt. Im Ort geht das rum wie ein Lauffeuer.«
»Sie kannten
sie?«
»Nur flüchtig.
Sie war ab und zu hier und hat Vögel beobachtet. Komische Alte. Aber sie hatte beim
Boss einen Stein im Brett. Die anderen Naturfuzzis hat er immer verjagt, aber die
Lene durfte rein. War sogar ’n paar Mal bei ihm im Büro.«
»Und weshalb?«
»Sagen Sie
mal, wird das jetzt ein Verhör oder was?« Langsam schien er ungeduldig zu werden.
»Ich will jetzt die Hunde rauslassen und dann hab ich noch was vor.«
»Schon gut,
ich halte Sie nicht länger auf. Nur eine Frage noch: haben Sie vielleicht heute
einen Mann auf dem Gelände gesehen?«
»Nö. Wen
denn?«
»Einen Einzelgänger.
Rentenalter, Vollbart, ungepflegt. Seine Vespa lehnt draußen vor dem Zaun.«
»Sie meinen
Pulle? Der ist schon wieder hier? Na warte!«
»Wieso?
Treibt er sich öfter hier herum?«
»Öfter?
In jedem Winter nistet er sich hier ein. Pennt in den Baracken, die einen zweiten
Stock unterm Dach haben. Da kommen die Hunde nicht hin. Außerdem kann er es verdammt
gut mit den Kötern. Fast als könnte er mit ihnen bellen. Aber wenn der Boss ihn
erwischt, gibt’s was auf die Fresse!«
»Er schlägt
ihn?«
»Er? Nö.
Ich! Jag’ ihn mit dem Spaten vom Hof, aber der kommt trotzdem wieder«, sagte er,
als sei es selbstverständlich, auf diese Weise Selbstjustiz zu üben. Linda beschloss,
ihm eine Lektion zu erteilen.
»Sie haben
ihn geschlagen? Nur weil er sich unbefugt hier aufhielt?«, fragte sie streng. »Darf
ich mal wissen, wie Sie heißen?«
Kleinlaut
nannte er ihr seinen Namen.
»Agim. Agim
Zoto.« Also hatte sie doch recht mit dem Südländer. Vom Balkan, schätzte sie.
»Sie sind
nicht aus Deutschland?«, fragte sie.
»Bosnien.
Aber schon ewig hier.«
»Sie sprechen
sehr gut Deutsch.«
»Das kann
man lernen. Wenn man will.«
Linda lächelte.
Sie hatte ihre Angst verloren. Dieser Kerl war zwar etwas heißblütig, aber sonst
wahrscheinlich eher harmlos. Wenn er nicht gerade zuschlug oder mit seinen Pranken
Frauen festhielt.
»Also, Herr
Zoto. Sie sollten in Zukunft mit ihren Fäusten etwas zurückhaltender sein. Sonst
sehen wir uns in meiner Dienststelle wieder. Wegen Körperverletzung. Haben Sie das
verstanden?«
Agim Zoto
nickte.
»Und jetzt
kümmern Sie sich um die Hunde.« Sie zögerte. »Das heißt, Sie lassen die Tiere heute
Nacht bitte nicht raus!« Sie dachte an diesen Pulle. Immerhin war er mit großer
Wahrscheinlichkeit noch auf dem Gelände. Und sie hatte keine Lust, den vermeintlichen
Hauptzeugen am Morgen zerfleischt vorzufinden.
»Und warum
nicht?«, wollte Zoto wissen.
»Weil ich
es Ihnen
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