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Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition)

Titel: Verschleppt: Linda Roloffs sechster Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edi Graf
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sie, dass nur noch kleine und schnelle Gummiboote mit starken Motoren in
stürmischen Nächten überhaupt eine Chance haben, dem digitalen Überwachungssystem
der spanischen Guardia Civil auf der Meerenge zwischen Gibraltar und Marokko zu
entgehen. Bei Sturm bleiben die Hubschrauber der Grenzschutztruppen in ihren Hangars,
und es sind auch weniger Schnellboote im Einsatz. Dafür ist die Überfahrt gefährlicher
als sonst. Nicht nur wegen der Strömung und der Wellen. Auch wegen der Tanker und
großen Passagierschiffe, die den Weg der Flüchtlingsboote kreuzen und sie nicht
erkennen, weil sie ohne Positionslichter fahren.
    »Das Meer
ist hier ein Massengrab«, hat Ben noch vor wenigen Tagen gesagt, als er ihr in einer
klaren Nacht die Lichter Spaniens gezeigt hat.
    »Zuerst
die Frauen und Mädchen. Die Männer sitzen außen!«, kommandiert der Kapitän. Es spielt
keine Rolle, ob man 1000 oder 2000 Euro bezahlt hat. Es gibt nichts an Bord, kein
Wasser, kein Essen, keine Schwimmwesten. Dafür hätte der Platz nicht gereicht. Trotzdem
besteigt Hadé mit ihrer Schwester Sema in Tanjah das Boot nach Europa. Sie ahnt
nicht, was wirklich auf sie zukommt.
    Hadé findet
einen Platz in der Mitte des Zodiac, wo sie sich auf den Boden kauert. Der Kapitän
gibt noch ein paar Kommandos, betrachtet zufrieden das Menschenknäuel in seinem
Boot und wirft den Motor an. Blubbernd und tuckernd röchelt der Außenborder, dann
dreht sich die Schraube und das Boot nimmt Fahrt auf. Hinein in die stürmische Nacht.
    Hadé klammert
sich an ihre Schwester, die Bordwand taucht unter die Wellen, Wasser schwappt ins
Boot, Menschen schreien auf, die Gischt durchnässt sie schon nach wenigen Metern
bis auf die Haut.
    »Schöpfen!«,
brüllt der Kapitän, und 80 Hände schütten das Wasser über Bord.
    Der Sturm
erfasst sie, als sie auf das offene Meer gelangen. Zunächst gibt es nur den Wind
und die schwarzen Wolken, die sich über ihnen auftürmen und den leuchtenden Sternenhimmel
zum Erlöschen bringen. Dann bricht das Unwetter los. Dicht aneinander gedrängt,
Schulter an Schulter, kauern die Passagiere an Bord, halten sich an Seilen und der
rauen Gummioberfläche fest, so gut es geht, klammern sich aneinander, ziehen die
Beine an den Körper, zittern, frieren und bangen um ihr Leben.
    Der Zodiac
hüpft wie ein Ball auf den Wellen, die höher und höher über die Bordwand schlagen.
Bald ist die schwarze Küste Afrikas in der Endlosigkeit des Meeres verschwunden,
nur eine Ahnung bleibt, dort wo sich ein düsterer Strich am Horizont gegen den Nachthimmel
abhebt.
    Hadés Heimat
verschwindet aus ihrem Blickfeld, und mit ihr tauchen auch ihre Familie, Mahama
und Akpan in die Vergangenheit ab.
    Vor ihr
liegt die Zukunft, liegt das Paradies. Nur wenige Kilometer, wenige Tage, sie ist
auf dem Weg in die Freiheit! Die Wüste, die Qual, Durst und Not liegen bald hinter
ihr.
    So denkt
Hadé, als die große Welle über die Bordwand schwappt.

58
     
    Hadé hatte Tränen in den Augen und
Linda ahnte, dass es ihr schwer fiel, nicht einfach auf den Container zuzustürmen
und endlich ihre Tochter zu befreien. Linda lauschte. Hatte sie ein entferntes Bellen
gehört?
    Nein, sicher
nur Einbildung.
    Es war Zeit,
zu handeln. Sie nickte Hadé zu. Die Afrikanerin bückte sich nach einem Stück Holz,
schlich damit zum Container und begann, in einem einfachen Rhythmus gegen die Wand
zu klopfen.
    Tock-tock-tock.
    Pause.
    Noch einmal.
Tock-tock-tock.
    Warten.
    Kam das
Klopfen von innen zurück?
    Tock-tock-tock.
    Jubelnd
blickte Hadé auf. Gleich noch einmal! Diesmal ein Schlag mehr.
    Tock-tock.
Tock-tock.
    Es antwortete.
Tock-tock. Tock-tock.
    Hadé erhob
sich und stand auf Zehenspitzen unterhalb des Fensterschlitzes, durch den sie selbst
vor zwei Jahren gespäht hatte, als sie gekommen waren, um ihre Schwester mitzunehmen.
Sie hüpfte nach oben und versuchte vergeblich, einen Blick in das Innere des Containers
zu erhaschen. Sie wusste, dass es drinnen kein Licht gab, und sie keine Chance hatte,
etwas zu sehen. Aber vielleicht konnte Doudou sie erkennen? Wie groß mochte sie
sein? Vier Jahre älter als damals.
    Tränen trübten
Hadés Blick und sie unterbrach ihre Sprünge, um sich die Augen auszuwischen. Da!
Hörte sie nicht dieses eine Wort, diese kurze Silbe, wie aus einer anderen Welt?
Ein Schrei, gedämpft durch eine undurchdringliche Wand? Drang nicht dort der Laut
nach draußen an ihre Ohren, kam von dort, wo ihr Linda die Lüftungsschlitze gezeigt
hatte?
    Eine

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