Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
schwer zu beweisen sein«, gab Siobhan zu bedenken. Das stimmte.
Man brauchte mehr als Berichte aus zweiter Hand und eine Röntgenaufnahme, um vor einem Geschworenengericht die Identität einer Person zu beweisen.
»Da gibt es schon Möglichkeiten«, meinte Rebus. »Wir können es noch einmal über zahnärztliche Unterlagen versuchen, nun wo wir wissen, wer der Tote ist. Dann kann man Fotos übereinander projizieren und vergleichen. Doch für den Augenblick reicht mir, dass meine Neugier befriedigt ist.« Er nickte. »Gut gemacht, Clarke.« Er machte Anstalten aufzustehen.
»Sir?«
»Ja?«
Sie lächelte. »Frohe Weihnachten, Sir.«
29
Er rief in der Gibson-Brauerei an, wo man ihm sagte, dass »Mr Aengus« sich bei einer Ale-Prämierung in Newcastle befinde und erst spät am Abend zurückerwartet würde. Also rief er beim Finanzamt an und redete eine Weile mit dem zuständigen Inspektor. Wenn er Tommy Greenwood zur Rede stellen wollte, würde er alle Munition brauchen, derer er habhaft werden konnte … ein eher unpassendes Bild unter den gegebenen Umständen, aber trotzdem wahr. Er ließ sein Auto vor St. Leonard’s stehen und machte einen Spaziergang, um einen klaren Kopf zu bekommen. Langsam ergab alles einen Sinn. Aengus Gibson hatte mit Tarn Robertson Karten gespielt und ihn erschossen. Dann hatte er das Hotel in Brand gesetzt, um den Mord zu vertuschen. Das schien einleuchtend, doch in Rebus’ Kopf waren immer noch mehr Fragen als Antworten. War es wahrscheinlich, dass Aengus in seinen wilden Jahren eine Waffe mit sich herumschleppte? Warum versuchte Eck, der ebenfalls anwesend war, seinen Bruder nicht zu rächen? Hätte Aengus ihn nicht irgendwie zum Schweigen bringen müssen? Waren nur die drei an dem Pokerspiel beteiligt? Und wer hatte Deek Torrance die Waffe zugespielt? So viele Fragen.
Als er zur South Clerk Street kam, sah er einen Lieferwagen vor Bone’s parken. Im Laden wurde gerade eine neue Schaufensterscheibe eingesetzt, und die Hecktür des Lieferwagens stand offen. Rebus ging zu dem Wagen und schaute hinein. Das war mal ein richtiger Metzgereiwagen gewesen, und niemand hatte sich die Mühe gemacht, ihn umzubauen. Über eine Stufe konnte man einsteigen. Im Innern befanden sich eine Theke, diverse Schränke und eine kleine Kühl-Gefrier-Kombination. Früher war der Wagen sicher die Wohnsiedlungen abgefahren, wo Hausfrauen und Rentner sich für Fleisch anstellten, statt sich auf den weiten Weg zum nächsten Laden zu machen. Ein Mann in einer weißen Schürze kam aus Bone’s heraus, ein totes Schwein über der Schulter.
»Entschuldigen Sie«, sagte er und schob den Kadaver in den Wagen.
»Liefern Sie damit aus?«, fragte Rebus.
Der Mann nickte. »Nur an Restaurants.«
»Ich kann mich noch erinnern, wie früher ein Metzgereiwagen regelmäßig bei uns vorbeikam«, sagte Rebus.
»Aye, das lohnt sich heutzutage nicht mehr.«
»Alles ändert sich«, meinte Rebus. Der Mann nickte zustimmend. Rebus betrachtete erneut den Innenraum des Wagens. Um hinter die Theke zu kommen, musste man in das Auto klettern, einen mit einem Scharnier versehenen Teil der Theke hochklappen und eine kleine, schmale Tür aufstoßen. Schmal — genau das war der Innenraum des Lieferwagens. Er erinnerte sich an Michaels Beschreibung von dem Wagen, mit dem man ihn herumgefahren hatte. Ein Lieferwagen, in dem es übel roch. Als der Mann wieder aus dem Wagen stieg, fiel ein Stück Stroh auf die Straße. Stroh in einem Metzgereiwagen? Die Tiere, die darin befördert wurden, hatten schon eine ganze Weile kein Stroh mehr gesehen.
Rebus warf einen Blick in den Laden. Ein junger Verkäufer sah zu, wie die Scheibe eingesetzt wurde.
»Wir haben geöffnet, Sir«, informierte er Rebus.
»Ich wollte zu Mr Bone.«
»Er ist heute Nachmittag nicht da.«
Rebus deutete mit dem Kopf auf den Wagen. »Liefern Sie noch Ware aus?«
»Was, von Haus zu Haus?« Der junge Mann schüttelte den Kopf. »Nur Zustellungen en gros, Spezialaufträge.«
Ja, das konnte Rebus nachvollziehen.
Er ging zurück nach St. Leonard’s und traf erneut auf Siobhan. »Ich hab vergessen zu sagen …«
»Noch mehr Arbeit?«
»Nicht viel mehr. Pat Calder, den müssen Sie auch zum Verhör herbringen. Er wird mittlerweile wieder zu Hause sein und sich furchtbare Sorgen machen, wohin Eddie denn verschwunden ist. Schade, dass ich bei diesem Wiedersehen nicht dabei sein kann. Aber vielleicht erleb ich’s ja dann vor Gericht …«
Ein ereignisreicher Tag —
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