Verschlüsselte Wahrheit - Inspektor Rebus 05
…? Es war doch Selbstmord, oder etwa nicht?«
»Sah jedenfalls so aus.«
»Soll das heißen, Sie sind nicht sicher?«
»War er denn Ihrer Meinung nach der Typ dafür, sich umzubringen?«
Calders Antwort war kühl. »Er hat sich jeden Tag mit seiner Trinkerei umgebracht. Vielleicht ist ihm ja alles zu viel geworden. Wie ich bereits sagte, Inspector, der Überfall auf Brian hat Eddie ziemlich getroffen. Vielleicht mehr, als wir wissen.« Er hielt inne, den Spiegel immer noch mit beiden Händen umklammert. »Glauben Sie, es war Mord?«
»Das hab ich nicht gesagt, Mr Calder.«
»Wer würde so was tun?«
»Vielleicht waren Sie mit Ihren Zahlungen im Rückstand.«
»Was für Zahlungen?«
»Schutzgeldzahlungen, Sir. Erzählen Sie mir nicht, dass es so etwas nicht gibt.«
Calder starrte ihn unverwandt an. »Sie vergessen, dass ich für die Finanzen zuständig war. Wir haben unsere Rechnungen immer pünktlich bezahlt. Alle.«
Rebus nahm diese Information hin und fragte sich, was genau das zu bedeuten hatte. »Wenn Sie zu wissen glauben, wer ein Interesse an Eddies Tod gehabt haben könnte, dann sollten Sie es mir besser sagen, okay? Tun Sie nichts Unüberlegtes.«
»Zum Beispiel?«
Zum Beispiel, sich eine Waffe kaufen, dachte Rebus, schwieg jedoch. Calder begann, den Spiegel einzuwickeln. »Packpapier, das ist so ungefähr das Einzige, wozu Zeitungen taugen«, sagte er.
»Sie hat doch nur ihre Arbeit getan. Eine gute Restaurantkritik hätten Sie bestimmt nicht abgelehnt, oder?«
Calder lächelte. »Davon haben wir eine ganze Menge bekommen.«
»Was werden Sie jetzt tun?«
»Darüber habe ich noch nicht nachgedacht. Ich weiß nur, dass ich von hier weggehe.«
Rebus deutete mit dem Kopf auf die Kisten. »Und diesen ganzen Kram wollen Sie behalten?«
»Das könnte ich niemals wegwerfen, Inspector. Es ist alles, was mir noch bleibt.«
Na ja, dachte Rebus, das Schlafzimmer ist ja auch noch da. Aber er sagte nichts, sondern sah einfach Pat Calder beim Einpacken zu.
Hamish, dessen wirklicher Name Alasdair McDougall lautete, war von seinen Altersgenossen mehr oder weniger von seiner Heimatinsel Barra vertrieben worden. Einer von ihnen hatte sogar versucht, ihn während einer nächtlichen Bootsüberfahrt nach einer Party auf South Uist zu ertränken. Zwei Minuten in dem eiskalten Wasser der Meerenge von Barra, und er hätte nur noch als Fischfutter getaugt. Doch dann hatten sie ihn wieder ins Boot gezogen und das Ganze als Unfall hingestellt. Was sie wohl auch getan hätten, wenn er tatsächlich ertrunken wäre.
Zuerst ging er nach Oban, dann weiter in den Süden nach Glasgow, bis er schließlich an der Ostküste landete. Glasgow gefiel ihm in mancher Hinsicht, in anderer wiederum nicht. Edinburgh mochte er lieber. Seine Eltern hatten nie wahrhaben wollen, dass ihr Sohn homosexuell war, selbst als er vor ihnen stand und es ihnen ins Gesicht sagte. Sein Vater traktierte ihn mit Bibelzitaten, wie er das schon seit siebzehn Jahren machte, mit dem Zittern des rechtschaffenen Gläubigen in der Stimme. Früher hatte er das als eindrucksvolle und überzeugende Darbietung empfunden, in dem Moment jedoch fand er es nur noch lächerlich.
»Bloß weil etwas in der Bibel steht«, hatte er seinem Vater erklärt, »heißt das noch lange nicht, dass es für einen das Evangelium sein muss.«
Doch für seinen Vater war es das und würde es immer bleiben. Mit der Bibel in der Hand hatte der alte Mann seinen jüngsten Sohn aus der Tür des kleinen elterlichen Bauernhofs gejagt. »Wage es niemals, unseren Namen zu besudeln!«, hatte er hinter ihm her gerufen. Diese Weisung hatte Alasdair in gewissem Sinne sogar befolgt, indem er sich immer nur als Dougall vorstellte und selten seinen vollen Namen nannte. Für die Schwulenszene in Glasgow war er Dougall gewesen, und für die in Edinburgh auch. Ihm gefiel das Leben, so wie er es sich eingerichtet hatte (nie gab es eine langweilige Nacht), und bisher war er erst zweimal zusammengeschlagen worden. Er hatte seine Klubs und Pubs, ein paar gute Freunde und einen größeren Bekanntenkreis. Manchmal spielte er sogar mit dem Gedanken, seinen Eltern zu schreiben. In dem Brief würde dann Folgendes stehen: Wenn mein Boss mit einer Leiche fertig ist, dann bleibt da nicht mehr viel für den Himmel übrig, das könnt ihr mir glauben.
Er dachte noch einmal an den dicklichen jungen Mann, der an einer Gasvergiftung gestorben war, und musste lachen. Er hätte in jenem Moment etwas sagen sollen,
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