Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
zähesten Menschen, den ich je kennen gelernt habe.«
Sie atmete mühsam. »Ich nehme an, du lernst nur wenig Leute kennen.«
»Siehst du? Schon wieder ganz die Alte.« Er lächelte ein wenig und tippte ihr auf die Stirn. »Da oben ist also alles in bester Ordnung. Pack ein paar Sachen zusammen, heute Nacht solltest du lieber bei mir bleiben.«
»Ich kann das einfach nicht glauben.«
»Wart’s ab.« Er stocherte erneut in der Einkaufstüte herum. »Soll das unser Abendessen sein?«
»Oh, Mist! Die Jakobsmuscheln!«
Als sie wie von der Tarantel gestochen zur Tüte sprang und hineingriff, wusste er, dass sie wirklich wieder ganz die Alte war. »Gott sei Dank habe ich sie mir in Eis packen lassen. Sie sind immer noch kalt. Irgendwie hat es auch was Gutes, dass ich die Heizung niedrig eingestellt habe.«
»Ich mag Jakobsmuscheln.«
»Du weißt gar nicht, wie es ist, irgendwas nicht zu mögen.« Dann stützte sie sich auf die Küchentheke und schloss die Augen. »Du lässt mich einfach nicht zusammenbrechen. Du lässt mich einfach nicht.«
»Ich habe dich gewarnt: Hysterische Frauen nerven mich.«
»Aber du hast auch gesagt, dass du auf Neurotikerinnen stehst.«
»Ja, das habe ich. Aber abgesehen davon, dass Hysterie und Neurosen nicht dasselbe sind, habe ich beschlossen, dass du für mich nicht neurotisch genug bist. Also werde ich so lange mit dir vorliebnehmen, bis ich was Besseres gefunden habe.«
Sie rieb sich die verquollenen Augen. »Das ist nur fair.«
»Und wenn es so weit ist, darfst du immer noch für mich kochen.«
»Danke.« Sie ließ die Hände sinken und sah ihn an. »Du hast mich in den Arm genommen, als ich geweint habe. Das muss nervig gewesen sein.«
»Du warst nicht hysterisch. Du hast wirklich gelitten. Eine Angewohnheit solltest du allerdings nicht daraus machen.«
»Ich liebe dich. Ich bin total verliebt in dich.«
Zehn Sekunden lang kam gar nichts. Und als er dann endlich wieder etwas sagte, konnte sie eine Spur Angst und Gereiztheit heraushören.
»Mist. Keine gute Tat bleibt ungestraft.«
Sie lachte, lauthals und herzhaft. Ihr wurde warm, was ihrem rauen Hals gut tat, ihren angegriffenen Nerven. »Und zwar genau deswegen. Ich muss wirklich verrückt sein. Aber mach dir deswegen keine Sorgen.«
Sie drehte sich zu ihm um und merkte, dass er sie ansah wie eine tickende Zeitbombe. »Tief unter all den Neurosen bin ich eine intelligente, moderne Frau. Du kannst nichts für meine Gefühle und bist somit auch nicht dazu gezwungen, sie zu erwidern. Aber wenn du das durchgemacht hast, was ich durchgemacht habe, lernst du, nichts mehr als selbstverständlich zu betrachten. Zeit, Menschen, Gefühle. Mein Therapeut hat mich dazu ermutigt, Tagebuch zu führen«, fuhr sie fort, während sie das Nötigste zusammenpackte. »Um meine Gefühle, meine Emotionen loszuwerden, die ich nicht anders artikulieren konnte. Und das hat auch funktioniert und mir geholfen, sie besser zu vermitteln. So wie jetzt zum Beispiel.«
»Du wirfst Vertrauen mit einer völlig unangebrachten Dankbarkeit in einen Topf – von der Tatsache, dass wir heiß aufeinander sind, einmal ganz abgesehen.«
»Mein Oberstübchen mag ja im Eimer sein, aber mit meinem Herzen ist alles in bester Ordnung. Doch falls dir das Angst macht, kann ich gern Linda-Gail anrufen und bei ihr wohnen, bis ich weiß, wie es weitergehen soll.«
»Pack ein, was du brauchst«, sagte er kurz angebunden. »Einschließlich der Sachen, die man braucht, um dieses Zeug zu kochen.«
Sie liebte ihn nicht. Aber dass sie das dachte, machte ihm Sorgen. Hier stand er nun und versuchte, ihr aus der Patsche zu helfen – was sicherlich auch schon ein Fehler war. Und jetzt musste sie alles noch so verkomplizieren. Wie jede andere Frau auch, dachte er, wollte sie ihm Fesseln anlegen.
Sie drohte ihn schon zu ersticken.
Zum Glück wollte sie das Thema nicht weiter vertiefen. Und auch nicht darüber reden, was in ihrem Apartment passiert war.
Wie erwartet empfand sie die Essenszubereitung als beruhigend. Ihm ging es mit dem Schreiben ganz genauso, und er verstand gut, wie so etwas funktioniert. Man wurde so von der Arbeit vereinnahmt, dass die Sorgen in den Hintergrund rückten.
Trotzdem würde sie sich auf den schlammigen Boden der Tatsachen zurückbegeben müssen. Wenn er mit seiner Theorie Recht behalten sollte, steckte sie in ernsthaften Schwierigkeiten.
»Möchtest du ein Glas Wein?«, fragte er sie.
»Nein danke. Ich bleib lieber beim Wasser.«
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