Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Sie richtete das angemachte Blattgemüse mit ein paar rohen Karottenstiften auf kleinen Tellern an. »Der Rest dauert noch ein paar Minuten, aber wir können hiermit schon mal loslegen.«
Wahrscheinlich hatte er in den Wochen mit ihr mehr Salat gegessen als sonst in einem halben Jahr.
»Joanie wird ausrasten, wenn sie das Bad sieht.«
»Dann streich’s doch.«
Reece piekte ihre Gabel in den Salat. »Ich kann unmöglich die Fliesen und den Boden streichen.«
»Mac hat bestimmt irgendein Lösungsmittel, was damit fertig wird. Die Wohnung war sowieso nicht gerade ein schickes Penthouse. Sie hätte ohnehin renoviert werden müssen.«
»Ein schwacher Trost. Brody, ich weiß, wie es ist, das Zeitgefühl zu verlieren. Und ich hatte auch Gedächtnislücken. Aber das ist mehr als ein Jahr her – oder aber ich erinnere mich einfach nur nicht mehr daran, haha. Aber kennen tu ich beides.«
»Aber das muss doch nicht zwangsläufig heißen, dass du jetzt wieder welche hast, oder? Ich bin in den letzten Wochen viel mit dir zusammen gewesen. Ich habe dich nie in einem verwirrten Zustand erlebt oder dich schlafwandeln gesehen. Und die Wände meiner Hütte hast du auch nicht mit irgendwelchen Botschaften aus deinem Unterbewusstsein verziert. Das Merkwürdigste, bei dem ich dich beobachtet habe, war, dass du meine Küchenschubladen neu eingeräumt hast.«
»Ich habe sie überhaupt erst mal eingeräumt«, verbesserte sie ihn. »Um sie neu einzuräumen, hätte vorher zumindest so etwas wie Ordnung herrschen müssen.«
»Ich habe meine Sachen immer gefunden. Früher oder später.« Da er nun schon mal vor ihm stand und zugegebenerma ßen verdammt gut schmeckte, aß er noch mehr von dem Salat. »Wurde im Joanie’s je erwähnt, dass du dich irgendwie seltsam benommen hast?«
»Joanie hat sich gewundert, dass ich auf Okras bestanden habe, um eine Minestrone machen zu können.«
»Okra ist wirklich ein merkwürdiges Gemüse. Als du so was schon mal erlebt hast, in Boston meine ich, warst du da immer allein?«
Sie stand auf, um die letzten Handgriffe bei der Essenszubereitung vorzunehmen. »Nein. Das Schlimme war ja, dass es überall und jederzeit passieren konnte. Als ich aus dem Krankenhaus kam, wohnte ich anfangs bei meiner Großmutter. Sie hat mich zum Einkaufen mitgenommen. Später fand ich diesen hässlichen braunen Pulli in meiner Schublade und fragte sie, wo der herkäme. Dass irgendwas nicht stimmte, merkte ich daran, wie sie mich ansah. Aber als ich nachbohrte, sagte sie mir, dass ich ihn selbst gekauft hätte. Und dass wir sogar noch darüber diskutiert hätten, weil sie wusste, dass er so gar nicht mein Stil ist. Ich hatte ihr und dem Verkäufer erzählt, dass ich ihn unbedingt haben müsse, da er kugelsicher sei.«
Sie wendete die Jakobsmuscheln flink aus dem Handgelenk. »Ein anderes Mal kam sie mitten in der Nacht in mein Zimmer, weil ich herumgelärmt hatte. Ich habe meine Fenster zugenagelt. Ich kann mich nicht daran erinnern, den Hammer oder die Nägel geholt zu haben. Ich kam erst wieder zu mir, als sie mich in den Arm nahm und weinte.«
»Beide Vorfälle klingen mir ganz nach Selbstschutz. Du hattest Angst.«
»Angst ist noch viel zu wenig. Und es gab noch weitere Vorfälle. Ich hatte nächtliche Panikattacken, bei denen ich splitterndes Glas, Schüsse und Schreie hörte. Ich habe versucht, die Türen einzutreten. Eines Nachts bin ich dabei aus dem Fenster geklettert – aus dem, das ich eigentlich zunageln wollte. Ein Nachbar fand mich, wie ich im Nachthemd auf dem Bürgersteig stand. Ich wusste nicht, wo ich war und wie ich dorthin gekommen war.«
Sie stellte einen Teller vor Brody hin. »Damals habe ich mich selbst eingeliefert. Das könnte ein Rückfall sein.«
»Zu dem es praktischerweise nur kommt, wenn du allein bist? Das nehme ich dir nicht ab. Du arbeitest mindestens acht Stunden im Joanie’s, und das fünf bis sechs Tage die Woche. Du verbringst Zeit mit mir, mit Linda-Gail, in der Stadt. Aber du hattest noch nie eine – wie heißt das noch gleich? Episode, genau – außer, wenn du allein in deiner Wohnung bist. Das Haus der Lady Alquist .«
»Bist du Joseph Cotten?«
»Ich mag Frauen, die sich mit Filmklassikern auskennen.« Er berührte ihre Hand, strich kurz mit seinen Fingern darüber. »Da ist noch jemand anders im Spiel. Das Fenster zum Hof .«
»Jimmy Stewart sieht aus dem Fenster, quer über den Innenhof, und wird Zeuge eines Mordes, während er mit einem gebrochenen Bein im Bett
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