Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
war.
»Willst du jetzt deinen Rausch ausschlafen?«
Sie blieb, wo sie war und drückte das Handtuch vors Gesicht.
»Würdest du mich bitte allein lassen?«
»Gern. Gleich.« Doch vorher zog er sie hoch. Sie stöhnte leise, als er sie hochhob. »Wenn du dich wieder übergeben musst, sag Bescheid.«
Sie schüttelte den Kopf und schloss die Augen, sodass sich ihre dunklen, feuchten Wimpern von ihrer leichenblassen Haut abhoben. Er trug sie ins Bett, deckte sie zu und stellte zur Sicherheit den Abfalleimer neben das Bett.
»Schlaf schön«, sagte er nur und verließ das Zimmer.
Allein gelassen, drehte sie sich zitternd auf die Seite und zog die Decke bis unters Kinn. Sie würde einfach warten, bis ihr wieder warm war, schwor sie sich. Sobald ihr wieder warm wäre und sie wieder gerade gehen könnte, würde sie die Fliege machen.
Aber dann fiel sie und fiel sie und fiel in einen tiefen Schlaf.
Sie träumte, mit einem Riesenrad zu fahren. Sah Farben vorüberfliegen und spürte, wie ihr der Magen beim schnellen Herunterkommen in die Knie sackte. Am Anfang schrie sie noch vor Lachen und Entzücken.
Juhu!
Aber das Rad drehte sich schneller und schneller, und die Musik plärrte immer lauter. Aus Entzücken wurde Unbehagen.
Langsamer, bitte! Geht es auch langsamer?
Immer schneller, immer schneller ging die Fahrt, bis das Schreien, das sie hörte, pure Entsetzensschreie waren. Während sich das Rad gefährlich zur Seite neigte, schnürte ihr Panik die Kehle zu.
Das ist gefährlich. Ich will hier raus. Haltet das Rad an! Haltet an und lasst mich raus!
Aber das Tempo wurde noch mehr gesteigert, bis sie alles nur noch ganz verschwommen sah, und die Musik sie regelrecht betäubte. Dann löste sich das Rad und flog aus dem Kreis der Lichter in die Dunkelheit.
Sie riss die Augen auf. Ihre Finger krallten sich in die Bettdecke, und ihre eigenen, atemlosen Schreie hallten in ihrem Kopf nach.
Sie flog nicht durch die Luft, beruhigte sie sich. Sie trudelte nicht auf einen sicheren Tod zu. Es war nur ein Traum, nur ein Albtraum. Sie bemühte sich, ruhiger zu atmen, lag ganz still da und versuchte herauszufinden, wo sie war.
Neben dem Bett stand eine Lampe und aus dem Flur fiel Licht ins Zimmer. Einen Moment lang erinnerte sie sich an nichts. Als ihr alles wieder einfiel, wollte sich Reece nur noch die Decke über den Kopf ziehen und alles aus ihrem Gedächtnis löschen.
Da war ihr die Sache mit dem Riesenrad ja fast noch lieber. Wie konnte sie ihm jetzt noch gegenübertreten? Irgendjemandem gegenübertreten? Sie wollte nach ihren Autoschlüsseln suchen und sich wie ein Dieb aus dem Ort davonstehlen.
Sie stützte sich auf, wartete ab, ob ihr Magen das mitmachte, und setzte sich auf. Auf dem Nachttisch stand ein verschlossener Thermosbecher. Überrascht griff sie danach, schob den Deckel zurück und schnupperte daran.
Ihr Tee. Er hatte ihr Tee gemacht und ihn ihr hingestellt, damit sie gleich etwas Heißes hatte, wenn sie aufwachte.
Wenn er Keats rezitiert und sie mit weißen Rosen überschüttet hätte – sie hätte nicht gerührter sein können. Sie hatte ihm furchtbare Dinge an den Kopf geworfen und sich einfach unmöglich benommen. Und er hatte ihr Tee gemacht.
Sie nippte daran. Ließ ihn die Kehle herunterrinnen und ihren misshandelten Magen besänftigen. Noch ein wenig wacklig auf den Beinen stand sie auf, um sich der Situation zu stellen.
Er sah auf, als sie in der Tür zu seinem Arbeitszimmer stehen blieb, und hob nur seine berühmte Braue.
Komisch, dachte sie, wie viel Aussagekraft diese Mimik besaß. Interesse. Belustigung, Ärger. Und jetzt, ganz konkret? Absolute Gleichgültigkeit.
Eine dicke Ohrfeige wäre ihr lieber gewesen.
»Danke für den Tee.« Er schwieg, schrieb weiter, und sie merkte, dass sie nicht den Mut hatte, weiterzureden. Womit sollte sie bloß anfangen?
»Macht es dir was aus, wenn ich ein Bad nehme?«
»Du weißt ja, wo die Wanne ist.«
Er fing wieder an zu tippen, obwohl der Mist, den er da produzierte, ohnehin wieder gelöscht werden musste. Sie sah aus wie ein rehäugiges Gespenst, klang wie ein reuiges Kleinkind. Und das gefiel ihm ganz und gar nicht.
Er merkte, dass sie verschwunden war, wartete, bis er das Badewasser einlaufen hörte. Dann löschte er, was er zuletzt geschrieben hatte, machte den Computer aus und ging hinunter, um ihr eine Suppe zu kochen.
Er machte kein Aufhebens um sie – dazu war er noch viel zu verärgert. So was tat man eben, wenn jemand krank
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