Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Gäste nicht beschweren, dann nur, weil ihre Geschmacksknospen völlig verkümmert sind.«
»Und weil genau das der Fall ist«, sagte Joanie gelassen, während sich Pete durch die Hintertür verdrückte, »scheren sie sich auch einen Dreck um frischen Dill.«
»Nun, das sollten sie aber.« Reece knallte die Flasche mit dem Dressing auf die Arbeitsfläche. »Und du auch. Warum soll man sich eigentlich immer mit Kompromissen zufriedengeben? Ich habe keine Lust mehr auf Kompromisse.«
»Dann verschwinde aus meiner Küche.«
»Gern.« Reece riss sich die Schürze herunter. »Ich bin schon weg.« Platzend vor selbstgerechter Wut, raste sie in Joanies Büro, schnappte sich ihre Tasche und war schon bei der Tür. Sie blieb an einem Tisch stehen, an dem drei Wanderer gerade ihr Mittagessen aßen und so taten, als hätten sie nichts gehört. »Cumin.« Sie zeigte mit dem Finger auf eine Schüssel Chili. »Da gehört Cumin rein.« Danach stürmte sie hinaus.
»Cumin? Sonst noch was!«, murmelte Joanie und brummte Pete an: »Los, an die Arbeit. Ich bezahl dich hier nicht fürs Rumstehen und traurig Dreinschauen.«
»Ich könnte ihr nachlaufen.«
»Du könntest deinen Job verlieren.« Cumin, dachte Joanie und rümpfte die Nase. Dann ging sie zum Kartoffelsalat, um ihn fertig zu machen.
Reece stieg in ihren Wagen und knallte die Tür zu. Am besten, sie fuhr einfach los, ohne anzuhalten. Sie brauchte diesen Ort nicht, diese Leute, diesen lächerlichen Job, der jede anständige Küche verhöhnte. Besser, sie fuhr nach L. A. und übernahm dort eine Küche in einem richtigen Restaurant, wo die Leute begriffen, dass Essen mehr bedeutet, als sich einfach was zwischen die Rippen zu schieben.
Vor dem Gemischtwarenladen verließ sie türenknallend ihren Wagen. Sie wäre noch länger bei Joanie geblieben, aber die wollte ja nichts davon wissen. Sie schuldete Brody noch ein Essen für die Streichaktion, und sie würde diese Schuld verdammt noch mal begleichen.
Sie drückte die Tür auf und sah dann finster zu Mac hinüber, der gerade Sachen für Debbie Mardson zusammensuchte.
»Ich brauche Haselnüsse«, blaffte sie.
»Ah, ich glaube nicht, dass wir welche auf Lager haben.«
Wie um alles in der Welt sollte sie Chicken frangelico machen, wenn es keine Haselnüsse gab? »Warum nicht?«
»Die Nachfrage ist nicht sehr groß. Aber ich kann Ihnen gern welche bestellen.«
»Toll. Aber das hilft mir jetzt auch nicht weiter.« Sie schoss in Richtung Gemüse davon, um auf der Suche nach Zutaten und einer Inspiration die Regale und Kisten zu durchforsten. Das ist doch lächerlich, dachte sie, sich hier in diesem Provinzkaff von irgendwas inspirieren lassen zu wollen.
»Oh, ein Wunder«, murmelte sie. »Sonnengetrocknete Tomaten.« Sie warf sie in den Einkaufskorb und prüfte die frischen Tomaten. Alle aus dem Gewächshaus, dachte sie angewidert. Und dann schön in Zellophan eingeschweißt. Geschmacklos, farblos.
Ein Kompromiss, mehr nicht. Wenn überhaupt.
Keine Portobello-Pilze – welch Überraschung! Keine Auberginen, keine Artischocken. Kein frischer Dill, verdammt noch mal.
»Hallo, Reece.«
Sie warf ein paar erbärmliche Paprikaschoten in ihren Korb und sah Lo stirnrunzelnd an. »Falls dich deine Mutter geschickt hat, kannst du ihr gern ausrichten, dass ich mit ihr fertig bin.«
»Ma? Ich war heute noch gar nicht bei ihr. Ich hab deinen Wagen draußen stehen sehen. Komm, lass mich das für dich tragen.«
»Das kann ich auch allein.« Sie riss ihm den Korb weg. »Oder hast du schon wieder vergessen, dass ich nicht vorhabe, mit dir ins Bett zu gehen?«
Ihm blieb der Mund offen stehen. Dann schloss er ihn wieder und räusperte sich. »Nein, so was vergesse ich nicht. Hör mal, ich bin bloß reingekommen, weil ich dein Auto gesehen habe und dachte, dir geht’s vielleicht nicht so gut.«
»Warum sollte es mir nicht gut gehen? Rote Kartoffeln! Noch so ein Wunder.«
»Ich hab von der Frau gehört, die man in der Nähe von Moose Ponds gefunden hatte. So was spricht sich eben herum«, fügte er hinzu, als sie ihn einfach nur anstarrte. »Das muss echt heftig für dich gewesen sein.«
»Für sie wohl noch heftiger, würde ich sagen.« Sie beugte sich vor, um sich die eingeschweißten Hühnerbrüste anzusehen.
»Klar, da hast du wohl Recht. Trotzdem muss dir das schwergefallen sein. Sie noch mal zu sehen, sogar ein Foto von ihr. Dich wieder an jenen Tag zurückversetzen zu müssen, an dem du sie vom Wanderweg aus gesehen hast.«
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