Verschlungene Wege: Roman (German Edition)
Haarschopf, ein kleiner Spitzbart, haselnussbraune Augen, eine schlanke, jugendliche Figur. Denny Darwin, erinnerte sich Reece. Er mochte sein Spiegelei von beiden Seiten gebraten und den Speck mehr schwarz als knusprig.
Er sah auf, als die Tür aufging, und errötete ein wenig. So flink, wie seine Finger über die Tastatur glitten, hatte sie nicht den Eindruck, er nutze den Computer beruflich.
»Hallo, Ms. Gilmore.«
»Reece.« Er war nicht viel jünger als sie, dachte sie. Fünfundzwanzig vielleicht, mit einem netten, offenen Gesicht, trotz des Ziegenbärtchens. »Ich wollte eigentlich den Sheriff sprechen, falls er da ist.«
»Klar, er ist hinten in seinem Büro. Einfach durchgehen.«
»Danke. Netter Hund.« Sie schwieg und sah ihn sich näher an. »Den kenne ich von irgendwo her. Das ist der, der so gern im See schwimmt.«
»Typisch Moses. Das ist der Hund von Abby Mardson, der mittleren Tochter vom Sheriff.«
»Ach ja, stimmt. Sie wirft ihm immer Bälle, die er dann wieder rausholen muss.«
»Er leistet uns gern Gesellschaft, wenn die Kinder in der Schule sind – so auch heute.«
Moses öffnete ein Auge, musterte Reece aus seinem braunen, haarigen Gesicht und wedelte mit seinem riesigen, haarigen Schwanz.
»Wir haben im Joanie’s immer ein paar Suppenknochen übrig. Wenn Moses einen will, brauchst du bloß Bescheid zu sagen.«
»Danke, das ist nett.«
»Schön, dich kennen gelernt zu haben, Moses.«
Sie durchquerte das Vorzimmer in die Richtung, die ihr Denny gewiesen hatte. Es gab noch einen weiteren Tisch für die Post kurz vor dem Flur, der momentan unbesetzt war.
An einem Ende des Flurs befanden sich zwei offene Zellen, die derzeit nicht belegt waren, am anderen zwei Türen. Auf der einen stand ›Lager‹ und auf der anderen ›Toilette‹. Gegenüber vom Lager sah sie Rick Mardsons Bürotür offen stehen.
Er saß hinter einem Eichentisch, der aussah, als habe er schon so manches mitgemacht. Sein Gesicht zeigte zur Tür, und das Fenster hinter ihm war genau richtig groß, sodass er ungestört arbeiten konnte, aber trotzdem genügend Licht bekam. Neben dem unverzichtbaren Computer und der Telefonanlage standen auf dem Schreibtisch mehrere gerahmte Fotos, Aktenordner und ein grellroter Becher, der diverse Stifte enthielt.
An der alten Garderobe in der Ecke hingen sein Hut und eine verblichene braune Holzfällerjacke. Filmposter mit John Wayne, Clint Eastwood und Paul Newman als Cowboyhelden schmückten die ansonsten langweilig-beigen Wände.
Er stand auf, als sie in der Tür stehen blieb und zögerte. »Kommen Sie rein, Reece. Ich habe gerade bei Ihnen angerufen.«
»Ich sollte mir einen Anrufbeantworter anschaffen. Haben Sie eine Minute Zeit?«
»Klar. Setzen Sie sich. Haben Sie Lust auf einen der grauenvollsten Kaffees in ganz Wyoming?«
»Eher nicht, aber trotzdem danke. Ich wollte nur wissen, ob es irgendwelche Neuigkeiten gibt.«
»Nun, die gute Nachricht zuerst: Jeder Einwohner von Angel’s Fist ist wohlauf. Dasselbe gilt für die Touristen, die uns in den letzten Tagen beehrt haben. Niemand hier wird vermisst, auf den Ihre Beschreibung von der Frau zutreffen könnte.«
»Ihr Verschwinden ist noch nicht bemerkt worden. Es ist ja erst einen Tag her.«
»Kann sein. Ich werde das regelmäßig überprüfen.«
»Sie glauben, ich habe mir das bloß eingebildet.«
Er ging zur Tür, machte sie zu, kehrte zurück und setzte sich auf den Rand seines Schreibtischs. Sein Gesicht zeigte nichts weiter als Freundlichkeit und Geduld. »Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß. Momentan weiß ich, dass jede Einwohnerin dieses Orts wohlauf ist, und auch die Touristinnen, die hier Urlaub machen oder gestern hier waren, erfreuen sich alle bester Gesundheit. Und da es zu meinen Pflichten gehört, solche Dinge in Erfahrung zu bringen, weiß ich auch, dass Sie in den letzten Jahren eine schwere Zeit durchgemacht haben.«
»Was hat das mit dieser Sache hier zu tun?«
»Vielleicht mehr, als Sie meinen. Ich möchte, dass Sie alles noch einmal in Ruhe überdenken. Es ist gut möglich, dass Sie ein streitendes Paar gesehen haben, genau wie Sie sagen. Vielleicht wurden die beiden sogar handgreiflich. Aber Sie waren ziemlich weit weg, Reece, selbst wenn man ein Fernglas dabeihat. Ich möchte, dass Sie noch einmal überlegen, ob diese Leute nicht einfach weggegangen sein könnten.«
»Sie war tot.«
»Nun, da Sie auf der anderen Seite des Flusses waren, hoch oben auf dem Wanderweg, konnten Sie wohl kaum
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