Verschollen
haben und auch vom leibhaftigen Tod war wieder die Rede.
»Glaubst du das?«, fragte Tristan.
Martin lachte auf. »Der leibhaftige Tod«, äffte er die bedeutungsschwangere Stimme eines Mannes nach, an dem sie gerade vorbeigekommen waren. »So ein Quatsch. Wir sind hier zwar in einer anderen Welt, aber manche Dinge kann es auch hier einfach nicht geben. Aber wer die Dörfer anzündet und vor allem warum, das macht mir schon Sorgen. Und nicht nur mir.« Er nickte zu den grimmig dreinblickenden Torwächtern hinüber.
Aus der Nähe war das Tor überwältigend. Die Türme mussten an die zwanzig Meter hoch sein, das Tor selbst mindestens zehn, schätzte Tristan. Er fand das dicke, schwarze Gemäuer sehr einschüchternd. Kurz hinter dem Stadttor wurde ihm klar, warum sich das Handelsleben trotz der Sicherheit, die die Mauer bot, nach draußen verlagert hatte. Abseits der Hauptstraße, die ab dem Tor steil bergan führte, waren die Gassen schmal und verwinkelt, die Häuser drängten sich dicht aneinander.
Die Hauptstraße endete an einem Platz mit einem kunstvoll verzierten Springbrunnen. Hier standen einige prunkvolle Häuser und die gesamte rechte Seite des Platzes nahm ein Palast ein, in dem der Fürst residierte und über ganz Nasgareth herrschte, wie Martin erklärte. Der Palast erinnerte mehr an ein Stadtpalais als an eine Burg, hatte aber immerhin eine Mauer als Umfriedung und auch hier patrouillierten einige Gardisten.
An der ihnen gegenüberliegenden Seite mündeten nur einige schmale Gassen in den Platz. Martin wählte die Gasse, die am nächsten zum Palast lag, und sie stiegen weiter nach oben. Die Häuser neigten sich hier über die Straße. Durch den schmalen Spalt zwischen den Dächern fiel nur wenig Licht auf den Boden und im Schatten war es recht kühl, sodass die Nobos zunehmend träge wurden und sich ziehen ließen. Doch schließlich erreichten sie den oberen Stadtrand, von wo eine Straße am Hang entlang hinauf zum Haus der Paladine führte.
»Dafür, dass sie zum Sitz der Halbgötter führt, wird die Straße aber schlecht gepflegt«, meinte Tristan. Sie war gepflastert, doch an vielen Stellen klafften Löcher und ein Stück vor ihnen war sogar ein ganzer Teil weggebrochen und ins Tal gerutscht.
»Stimmt«, pflichtete Martin ihm bei. »Aber man sagt, die große Zeit der Paladine sei vorbei, ihr Ruhm verblasse. In den letzten Jahrzehnten war es ruhig auf der Insel, die Monster sind unter Kontrolle, die Gnome sind fast alle fort, die Vanamiri und die Menschen haben sich arrangiert. Man braucht die Paladine kaum noch als Schlichter, dementsprechend …« Er deutete auf die Straße.
»Oh«, Tristan war ein wenig enttäuscht. »Aber trotzdem begeben sie sich noch in so große Gefahr?«
»So eine Gefahr, wie es sie im Moment zu geben scheint, was auch immer es ist, hat es in Nasgareth seit Langem nicht mehr gegeben. Zuletzt waren immer weniger Paladine für immer kürzere Zeit hier. Nur wenige leben dauerhaft in dieser Welt. War dein Vater nicht auch längere Zeit zuhause in den letzten Jahren?«
Tristan nickte. Er konnte sich noch gut erinnern. Svenja hatte Probleme am Gymnasium gehabt, gerade als Mama wieder zu arbeiten angefangen hatte, und es war eine Zeit, in der Mama und Papa oft gestritten hatten, weil er so oft fort war. Damals hatte Papa sich beurlauben lassen – zumindest hatte er das zuhause erzählt. »Ja, fast anderthalb Jahre war er zuhause, höchstens mal ein Wochenende fort, bis es vor einem Jahr wieder anfing, dass er länger weg war.«
»Siehst du, das heißt, er war zwischenzeitlich mal fast ein Jahrzehnt nicht hier. Andere kamen gar nicht mehr, viele, die jetzt wegen dieser unbekannten Gefahr hier sind, waren ein halbes Jahrhundert fort. Und Knappen, also jugendliche Nachkommen von Paladinen wie dich, gibt es auch nur noch wenige, habe ich den Eindruck. Aber genau weiß ich das nicht, mir fehlt da der Überblick.«
»Also wird es bald vielleicht gar keine Paladine mehr geben?«
Martin zuckte die Schultern. »Vor ein paar Mondjagden hätte ich noch ja gesagt. Aber jetzt, wo es diese neue Gefahr gibt, jetzt werden sie wieder gebraucht.«
»Wenn sie noch leben«, murmelte Tristan und seufzte.
5
AUF DEM LETZTEN STÜCK DES AUFSTIEGS wurde die Straße wieder besser und sie konnten sogar reiten. Das Haus der Paladine lag auf einem Plateau, ungefähr hundert Meter über der Stadt, aber noch deutlich unter dem Gipfel. Eine niedrige Mauer umgab das Gelände und sie
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