Verschollen
an. Statt dessen packte er den Jungen mit einer seiner Pranken und warf ihn sich auf die Schulter. Der Gestank seiner Ausdünstungen drang selbst in Tristans benebeltes Gehirn vor und er strampelte, um freizukommen, doch der Griff des Ogers war eisern. Mit langen Schritten entfernte sich der Halbriese vom Geschehen.
»Bring ihn mir«, dröhnte die Grabesstimme des lebenden Skelettes.
»Tristan!«, brüllte Martin mit Verzweiflung in der Stimme.
Tristan hörte noch einen schrillen Schrei, wie von einem Vogel, ehe ihm endgültig die Sinne schwanden.
8
TRISTAN ERWACHTE SCHWEISSGEBADET. Er lag auf einem Bett in einem spärlich eingerichteten Zimmer, das ihm vage bekannt vorkam. Nach einem kurzen Augenblick der Verwirrung wurde ihm klar, wo er war. Es war der Raum im Haus der Paladine, wo er schon die letzte Nacht verbracht hatte. Als ihm alles wieder einfiel, zuckte seine Hand unwillkürlich zu der Stelle, wo ihn der Oger getroffen hatte, aber da war nichts. Kein Verband, keine Narbe, kein Blut. Verwirrt sah er aus dem Fenster. Die Sonne stand hoch, es musste gegen Mittag sein. Hatte er das Ganze nur geträumt? Hatte es gar keine Schlacht um Nephara gegeben?
Die Tür wurde geöffnet. Tiana und Vinjala brachten eine Schale mit Essen und eine Schüssel frischen Wassers. Kurz zögerten sie am Eingang, als sie sahen, dass Tristan wach war, kamen dann aber herein.
»Wie geht es dir?«, fragte Tiana. »Hast du dich gut erholt?«
Tristan nickte nur. Für den Fall, dass er lediglich geträumt hatte, wollte er lieber nicht nach der Schlacht fragen und sich womöglich blamieren.
Vinjala stellte das Tablett ab und wollte schon wieder in Richtung Tür verschwinden, aber Tiana hielt sie zurück. »Sie hat dich gerettet«, verkündete sie unverblümt.
Vinjala schaute erschrocken zu ihrer Freundin und lächelte ihm dann verlegen zu, sagte aber nichts. Tristans Blick ruhte jedoch auf Tianas Gesicht, das wieder dieses spitzbübische Lächeln zeigte, und er spürte ein Kribbeln in der Magengegend, je länger er sie so ansah. Er merkte, wie er rot wurde, und um sich abzulenken, fragte er: »Was ist denn passiert?«
Tiana gab ihrer Freundin mit dem Ellenbogen einen Stoß. »Der Oger«, begann Vinjala stockend, straffte sich dann aber und fuhr mit festerer Stimme fort: »Er wollte euch fortbringen, zu diesem Untoten. Tiana und ich waren bei den Kämpfern, die euch zu Hilfe eilten, wir sollten Schildzauber wirken. Aber zwei andere Oger hielten unsere Gruppe auf und es sah schon so aus, als ob der Oger mit euch …«
»Aber dann kam Lord Noldan«, fiel ihr Tiana ins Wort. »Er sprang mit einem gewaltigen Satz über die Oger hinweg und attackierte den, der dich trug. Der musste dich deshalb fallen lassen, es gab ein Handgemenge, in das auch die Untoten eingriffen. Wir waren fast starr vor Angst bei diesem Anblick und viele andere auch. Aber Noldan kämpfe sie nieder, das hättest du sehen sollen.«
»Und Martin«, ergänze Vinjala. »Die beiden haben euch gerettet.«
»Nun sei nicht so bescheiden«, tadelte Tiana, wieder mit diesem Grinsen auf den Lippen. »Sie hat dich noch während des Kampfes geheilt, Tristan, sonst wärest du wohl verblutet.«
Tristan war unsicher, wie er darauf reagieren sollte. Schließlich hielt er ihr die Hand hin und sagte: »Vielen Dank, Vinjala.«
Sie zögerte, ergriff dann kurz seine Hand und verneigte sich. »Es war mir eine Ehre«, murmelte sie und verließ dann hastig das Zimmer.
»Wir haben also gesiegt?«, fragte Tristan.
Tiana nickte ernst. »Ja, als die Untoten fielen, brach totales Chaos unter den Ogern und Wolfsmenschen aus und sie rannten kopflos ins Bergwerk. Aber …« Sie biss sich auf die Lippen. »… wir wissen noch nicht, welchen Preis wir bezahlt haben. Einige Paladjur sind gefallen, andere werden noch vermisst, man sucht sie noch in dem ganzen Chaos auf dem Fürstenplatz. Ich hoffe nur, dass…« Sie schluckte und wechselte abrupt das Thema. »Meister Johann wünscht, dass du zu ihm kommst, sobald du gegessen hast.« Sie deutete auf die Schalen, die sie mitgebracht hatte. »Die drei Paladine aus den Suchtrupps werden bald hier eintreffen und es soll eine Ratsversammlung geben. Du beeilst dich besser.« Sie lächelte ihm noch einmal zu und ging dann hinaus.
Tristan schlang das Bankelmus herunter, trank ein paar Schlucke Wasser und wusch sich mit dem Rest. Als er sich anziehen wollte, bemerkte er, dass man ihm neue Kleider hingelegt hatte. Die Lederhose war die
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