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Verschollen

Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Benne
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gemeint?«
    Tiana schaute wieder ins Tal und schwieg. Tristan glaubte schon, sie würde ihm gar nicht mehr antworten, als sie plötzlich sagte: »Sie sah meine Hand auf deinem Arm und dachte – nun, dass wir mehr als Freunde seien.«
    Tristan spürte einen Kloß im Hals. Das hatte er auch gedacht, dachte es noch, aber das wagte er nicht auszusprechen. Statt dessen fragte er: »Und was hast du ihr gesagt?«
    Sie blickte auf ihre Füße, die zwei Meter über dem Boden baumelten. »Dass sie sich irrt«, sagte sie dann so leise, dass es kaum zu verstehen war.
    Es war nicht das erste Mal, dass Tristan von einem Mädchen zurückgewiesen wurde, aber so hart wie diesmal hatte es ihn noch nie getroffen. »Aber …«
    Plötzlich sah Tiana auf und schnitt ihm das Wort ab. »Tristan, bitte. Du bist ein Paladin, du suchst deinen Vater und wirst dann wieder fortgehen. Nein, Tristan«, fuhr sie heftiger fort, als er etwas erwidern wollte. »Es ist nicht nur das, Tristan. Es geht einfach nicht, glaub mir. Ich … Ich wollte, nein, ich will dich als Freund, als besonderen Freund, aber ich wollte nicht das … Es tut mir leid, wenn ich dir jetzt wehtue, ich habe nicht verstanden, dass du vielleicht schon mehr in mir siehst als eine Freundin. Erst Vinjala hat mir die Augen geöffnet. Bitte … es tut mir leid.«
    Tristan starrte sie an. Er fühlte sich leer, leer und betrogen, aber er war nicht wütend. Vielleicht war es besser so, womöglich hatte Tiana Recht. Aber dass sie gar nicht erst so empfunden hatte wie er, traf ihn besonders. Schließlich nickte er nur und gemeinsam saßen sie noch eine Weile schweigend auf der Mauer, während das Tageslicht schwand.
    »Mir wird kalt«, sagte Tiana schließlich und erhob sich. »Kommst du mit rein?«
    Tristan schüttelte den Kopf.
    »Bitte sei mir nicht böse, Tristan, wir …« Sie seufzte und vollendete den Satz nicht, sondern sprang ohne ein weiteres Wort von der Mauer und ging.
     
    Tristan blieb noch eine Weile Trübsal blasend sitzen. Als es fast dunkel und ziemlich kalt war, begab er sich schließlich zum Haupthaus. Appetit hatte er nicht, doch er suchte das gemütliche Kaminzimmer auf, das hinter dem Ratssaal lag. Es war den Paladinen vorbehalten und recht klein. Kunstvolles Holzmobiliar und weiche Kissen luden ebenso zum Verweilen ein wie das prasselnde Feuer im Kamin.
    Martin und Jessica waren mit dem Rücken zur Tür in ein Gespräch vertieft und bemerkten Tristans Eintreten nicht, sonst war niemand im Raum. Er wählte einen Sessel in einer Ecke, setzte sich und stierte in die Flammen.
    »Was ist mit dir?«, fragte Martin nach einer Weile und schreckte Tristan aus seinen trübsinnigen Gedanken. Jessica war offenbar gegangen, sie beide waren allein.
    Tristan zögerte, ihm von Tiana zu erzählen, doch das musste er gar nicht, denn Martin zog sich einen Stuhl heran und begann unvermittelt von sich aus: »Es ist nicht leicht, ein Paladin zu sein. Oder allgemein, ein Mensch von der Erde, der hier lebt. Ein langes Leben ohne zu altern ist auf den ersten Blick vielleicht eine feine Sache, aber nicht, wenn man zusehen muss, wie die, die man liebt, altern und sterben.
    Ich war ungefähr fünf Jahre hier, als ich Lyriel kennenlernte. Es war nicht Liebe auf den ersten Blick, aber wir kamen nach einer Weile zusammen. Sie war damals ungefähr in meinem Alter und wir bauten gemeinsam die Taverne in Tharlan auf, vermählten uns nach hiesigem Ritus, wollten Kinder. Das hat zwar leider nicht geklappt, aber wir waren glücklich, zehn, zwanzig Jahre lang. Doch dann begann es. Ich blieb jung, sie welkte dahin, bekam ein Gebrechen nach dem anderen und starb kurz vor ihrem fünfzigsten Geburtstag. Weißt du, die Menschen werden hier nicht alt, Tristan, hier gibt es Seuchen, einfache Krankheiten, die wir zuhause mit einem Schulterzucken abtun, fordern hier hunderte Opfer. Die Paladine haben andere Aufgaben als umherzuziehen und Kranke zu heilen und selbst die Paladjur, die sich als Heiler betätigen, müssen sich auf das Schlimmste konzentrieren, es sind einfach zu wenige.«
    »Aber hättet ihr nicht aufs Festland gehen können, um gemeinsam zu altern, wenn das dein Wille war? Dort wo das Portal keinen Einfluss mehr hat?«
    Martin seufzte. »Wäre das eine Möglichkeit gewesen, ich hätte es getan. Doch soweit wir wissen, sind die Kräfte des Portals nur ein Grund, warum wir hier langsamer altern. Es heißt, zwei oder drei Paladine seien einmal aufs Festland übergesiedelt. Sie verloren ihre Kräfte,

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