Verschollen
viele ihrer Zaubermale verblassten, aber als sie zurückkamen, waren sie beileibe nicht um die Jahre gealtert, die sie auf dem Festland verbracht hatten. Außerdem hätte Lyriel das sowieso nicht gewollt. Sie hat mich geliebt, sie hätte es nicht akzeptiert, dass ich für sie meine Kräfte aufgebe.
Ich weiß nicht, für wen diese Zeit schlimmer war, für sie oder für mich. Aber nach ihrem Tod war ich ein gebrochener Mann, begann zu trinken. Ein paar Paladine brachten mich her und Johann nahm mich auf, sprach mir Trost zu, gab mir eine neue Aufgabe. Bis vor ein paar Jahren habe ich hier die Paladjur unterrichtet, musst du wissen. Jedenfalls bekam ich mein Leben wieder in den Griff und das eine oder andere Mal war ich nahe dran, mich noch einmal zu verlieben, obwohl ich das nicht wollte. Ich wollte das alles nicht noch einmal durchmachen, und als dann eine Frau herkam, der ich nicht widerstehen konnte, ging ich fort, zurück nach Tharlan, als einfacher Wirt in der Taverne, die mir einst gehörte.
Glaub mir Tristan, auch wenn es sich jetzt schlimm anfühlt, Tiana hat dir und sich selbst viel Schmerzen erspart. Such dir zuhause eine Freundin und werde dort glücklich mit jemandem, der gemeinsam mit dir alt wird.«
»Aber … kann Tiana nicht mit mir zurückkehren?«
Martin schüttelte den Kopf. »Leider nicht. Es heißt, einmal habe ein Paladin seine große Liebe mit zur Erde genommen, denn sie können das Portal sehr wohl durchschreiten. Nach wenigen Monaten dort war sie um Jahre gealtert und er brachte sie rasch zurück hierher. Aber sie erholte sich nicht mehr. Seither ist es verboten, hier Geborene durch das Portal zu schicken.«
»Und du? Warum bist du nie zurück zur Erde gegangen?«, fragte Tristan, gespannt, ob er nun endlich Martins Geschichte erfahren würde.
Martin blickte ins Feuer und schwieg eine Weile. »Ich kann niemals zurück«, sagte er heiser. »Ich habe auf der Erde etwas Furchtbares getan, nicht aus Bosheit. Ein Paladin erfuhr davon und hatte Erbarmen. Er brachte mich hierher und an Smurk vorbei und hier werde ich bleiben, bis ich sterbe.«
Tristan wollte ihn fragen, was genau er getan hatte, doch es war offensichtlich, dass Martin nicht weiter darüber sprechen wollte. Er sagte überhaupt nichts mehr und stierte mit traurigem Gesicht in die Flammen. Tristan blieb noch eine Weile bei ihm sitzen, dann gähnte er, wünschte eine gute Nacht und ging ins Bett.
Am nächsten Vormittag hatten sie wie immer Unterricht. Katmar war wieder mit dabei, hielt sich aber im Hintergrund und überließ seinem Bruder das Unterrichten. Ilgar referierte über Angriffs- und Verteidigungstaktiken gegen Oger, wo ihre verwundbaren Stellen lagen und wie man am besten ihren Keulen auswich, ohne sich selbst dabei aus dem Gleichgewicht zu bringen. Es herrschte noch immer eine gedrückte Stimmung, selbst als Ilgar zum Üben den Oger mimte, gab es nur hier und da ein zaghaftes Lächeln. Und die Stimmung zwischen Ilgar und Tristan war ohnehin vergiftet, er behandelte Tristan wie Luft, nahm ihn nie bei einer Übung an die Reihe und beachtete auch nicht, ob er alles richtig machte.
Nach dem Kampfunterricht kam Keldra, sie bat aber Ilgar und Katmar zu bleiben und mit am Unterricht in der Scheune teilzunehmen. Dafür schickte sie die beiden jüngsten Schüler ins Haupthaus. Viele ältere Paladjur und auch Martin gesellten sich in der Scheune zu ihnen, sogar Keldra nahm bei den Schülern platz, an ihrer Stelle trat Brenda vor.
»Heute werde ich ausnahmsweise den Unterricht leiten, denn es geht um ein Thema, in dem nur wenige bewandert sind. Wie ihr wisst – und viele von euch sogar mit eigenen Augen gesehen haben – waren Untote an der Schlacht von Nephara beteiligt.
Um Untote ranken sich viele Märchen und Legenden, nicht zuletzt, weil sie seit Jahrhunderten nicht mehr gesehen wurden. Manche glauben, dass sie Abgesandte des Totengottes oder gar der Tod selbst seien, andere reden von Dämonen, die sich der sterblichen Überreste bemächtigt haben. All das ist Unsinn. Es gibt die dunkle Zauberkunst der Nekromantie. Nekromanten können toten Lebewesen vorübergehend wieder Leben einhauchen und zwar im Wesentlichen auf zwei Wegen, soweit wir wissen.
Entweder sie versetzen sich selbst – also ihren Geist – oder eine andere Person in den toten Körper und bewegen ihn mit ihrem eigenen Willen. Dann lebt der Untote so lange, wie der lebendige Geist in ihm verbleibt, aber er kann sich nicht weit von dem Nekromanten
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