Verschollen
alt und voller tiefer Falten, der Kopf kahl und nur grob menschlich mit Nasen, Augen, Ohren und Mund. Die Ohren waren vergleichsweise groß, mit langen Ohrläppchen, die beinahe auf die schmalen Schultern hingen, die Augen kohlschwarz und sehr klein, die Nase wiederum breit und lang. Das Monströseste an diesem Wesen waren jedoch seine Hände – oder besser: Pranken. Verglichen mit dem Rest des Körpers waren sie riesig, größer als die eines ausgewachsenen Menschen, mit drei dicken Fingern und einem langen Daumen, alle mit kurzen Krallen versehen. Ohne Zweifel waren die Hände zum Graben geschaffen.
Lisor hatte ein graues Wams an, über dem er einen bräunlichen Umhang trug. Einziger Schmuck waren die glitzernden Schnallen des Umhangs und ein breiter, goldener Gürtel. Außerdem trug er einen Ring aus Daramand, der wie ein Piercing durch die Haut am Ende seines Kinns verlief.
Johann räusperte sich und alle nahmen auf ihren Stühlen Platz. »Wir haben uns heute mit Hochlord Malron, Fürst Sildur und Lisor, Abgesandter von Kaiser Lasus, zusammengefunden, um die derzeitige Gefahr und die zu treffenden Maßnahmen zu besprechen«, eröffnete Johann. »Beginnen wir mit dem, was wir wissen. Oger und Wolfsmenschen haben sich zusammengerottet und mehrere Dörfer und zuletzt sogar Nephara angegriffen. Zumindest bei diesem letzten Angriff kamen sie aus dem Bergwerk. Untote wurden gesehen, eine Armee von Paladinen ist in einen Hinterhalt gelockt und offenbar verschleppt worden. Auch hier deuten die Spuren auf ein verlassenes Bergwerk.« Er wandte sich Lisor zu. »Könnt ihr uns etwas darüber sagen, was in den alten Stollen vor sich geht?«
Lisor blickte Johann eine Weile an, blinzelte einige Male und erwiderte dann mit einem seltsamen Schnaufen in der Stimme nur: »Nein.«
Johann nickte bedächtig. »Wollt ihr damit sagen, dass ihr es nicht wisst oder dass ihr es uns nicht sagen wollt?«
Wieder ließ Lisor eine Weile verstreichen. »Ja«, sagte er dann.
Johann seufzte. »Ihr wollt es uns nicht sagen?«
Pause. »Doch.«
»Aber ihr wisst es nicht?«
»Genau.«
Johann atmete auf. »Gut. Könnt ihr die Gänge denn auskundschaften, um herauszufinden, was dort vor sich geht?«
Pause. »Nein. Zu viele. Zu wenige.«
Johann wandte sich kurz ab und Tristan konnte sehen, wie er genervt die Augen verdrehte, während er so tat, als müsse er husten. Als er sich dem Gnom wieder zu wandte, lächelte er aber jovial. »Zu viele Gänge und zu wenige Gnome, meint ihr?«
»Genau.«
»Meister Johann«, unterbrach Lord Noldan. »Würdet ihr gestatten, dass Lisor in seiner eigenen Sprache antwortet und ich übersetze? Ich denke, das würde die Sache vereinfachen.«
»Herzlich gern«, stimmte Johann erleichtert zu. »Lisor, habt ihr die Karte mitgebracht, um die ich bei Kaiser Lasus ersucht hatte?«
Lisor brauchte wieder ein paar Sekunden, dann nickte er und zog ein dickes Pergament aus einem Rucksack, der neben seinem Stuhl stand. Es war zigfach geknickt und auseinander gefaltet nahm es fast die ganze Breite des Tisches ein. Es zeigte die Insel Nasgareth, allerdings recht grob, neben den Vulkanen, und den großen Straßen waren nur vier oder fünf Ortschaften eingezeichnet. Tristan fragte sich schon, was sie mit dieser Karte anfangen sollten, als Lisor ein verschnörkeltes Siegel in einer Ecke des Pergaments berührte und eine Reihe von Schnauf- und Schnalzlauten ausstieß. Daraufhin erhob sich die Karte gut einen Meter in die Höhe. Auch von unten konnte man die Umrisse der Insel und die eingezeichneten Orte erkennen, aber als die Karte in der Luft zur Ruhe kam, rieselte plötzlich etwas Glitzerndes heraus und begann in der Luft unter der Karte Muster zu bilden.
Die glitzernden Körnchen formten Linien, die Linien formten Höhlen oder Röhren, und während die umstehenden Menschen staunten – an den Gesichtern der Vanamiri war keine Regung abzulesen und Lisor betrachtete das Schauspiel gleichmütig -, bildete sich unter dem Pergament ein komplexes System aus Hunderten von Gängen und Höhlen, die bis hinunter auf die Tischplatte reichten. Tristan entdeckte sogar einen Tunnel, der in der Tischplatte verschwand, womöglich war die Karte also unvollständig. Einige andere Tunnel stießen oben an das Pergament, einer genau dort wo Nephara eingezeichnet war.
Lisor schnaufte zweimal zufrieden, als das glitzernde Treiben zum Stillstand kam. »Das ist die Karte von Surak-Bar«, übersetzte Lord Noldan, »oder der Unterwelt, wie ihr
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