Verschollen am Mount McKinley - Alaska Wilderness ; 1
gezwungen, sein Gewehr in den Schnee zu werfen und vor uns herzugehen … bis zur Hütte.«
Julie blickte ihn zweifelnd an. »Und was, wenn er sich gewehrt hätte? Was dann? In dem Schneetreiben hätten wir ihn unmöglich die ganze Zeit in Schach halten können. Und was wäre inzwischen mit Jacobsen passiert? Hättest du ihn aufgegeben, nur um einen Wilderer festnehmen zu können?« Sie schüttelte den Kopf. »Ich bin froh, dass du’s nicht versucht hast. Das wäre nur in die Hose gegangen. Nein … ich bin froh.«
»Ich will nach dem Iditarod auf die Law Enforcement School gehen«, sagte Josh nach einigem Zögern. »Ich will State Trooper werden. Verrückt, was?«
»Bei den Rangern?«, fragte sie hoffnungsvoll.
»In Fairbanks. Mein Vater war State Trooper in Valdez.«
»Klingt gut.«
»Aber dann muss ich vielleicht auf Menschen schießen.«
»Nur in Notwehr … wenn überhaupt. Ein Law Enforcement Ranger hat mir verraten, dass die meisten Gesetzesbeamten überhaupt nie schießen müssen. Das denkt nur jeder, weil in den Fernsehkrimis ständig einer rumballert.«
Im Osten zog bereits der Tag herauf, als sie die Felsen erreichten. Noch waren sie nur als dunkle Schatten in dem Schneetreiben zu erkennen, eine Ansammlung von zerklüfteten Wänden und brüchigen Felstürmen, die oberhalb eines steilen Hanges aus dem Boden wuchsen und das Tal von den Ausläufern des Mount McKinley und dem gewaltigen Muldrow Glacier trennten.
Widerwillig verließen sie den Fluss, auf dem sie wenigstens einigermaßen vor dem Wind geschützt waren, und kämpften sich durch den Tiefschnee auf die Felsen zu. Julie vermutete ein weites Geröllfeld unter dem Schnee, einen felsigen Hang, der immer steiler anstieg und ihnen alles abverlangte. Kaum etwas war so anstrengend, wie eine Steigung auf Schneeschuhen zu meistern, auch wenn man nicht mit einem schweren Backpack beladen war.
Obwohl sie beide durchtrainiert waren, gerieten sie schon bald ins Schnaufen. Dichte Atemwolken gefroren vor ihrem Mund, als sie bedächtig einen Fuß vor den anderen setzten und die Höhe erklommen. In den Felswänden, die sich immer deutlicher gegen den Schnee abzeichneten, waren mehrere Höhlen zu sehen, dunkle Löcher, die wie Wunden im grauen Fels klafften und nur über die steilen Hänge erreichbar waren. Der Wind trieb eisige Schneeschleier an den Höhlen vorbei und ließ sie auf den Hang schweben.
»Ich glaube nicht, dass er in einer Höhle ist«, sagte sie. »Das ist doch viel zu steil für einen untrainierten Mann wie ihn. Der hätte schlapp gemacht.«
»Wenn man friert und müde ist, schafft man vieles.«
Julie blieb stehen und legte beide Hände trichterförmig um ihren Mund. »Jacobsen!«, rief sie. »Scott Jacobsen! Sind Sie da oben? Ich bin’s, Julie! Kommen Sie runter! Was Sie vorhaben, ist zu gefährlich! Hören Sie mich?«
Keine Antwort. Nur der Wind, der unaufhörlich blies und sang.
»Bei dem Wetter hört dich niemand«, sagte Josh. Er blickte forschend an der Felswand empor. »Lass uns zu der großen Höhle gehen, direkt vor uns.«
Sie stiegen weiter den Hang hinauf. In dem lockeren Neuschnee hatten sie es auch mit den Schneeschuhen schwer, festen Halt zu finden, und waren gezwungen, in weiten Serpentinen die Steigung zu erklimmen. Um gegen den Wind geschützt zu sein, gingen sie leicht gebückt, immer bereit, sich gegen die Böen zu stemmen. Auf dem ungeschützten Hang war der Wind besonders heftig, er blies so stark, dass sie sich öfter mit den Händen abstützen mussten.
Ungefähr zwanzig Schritte vor der Höhle verließ sie ihr Glück. Eine winzige Unachtsamkeit, ein flüchtiger Blick zum östlichen Horizont, brachte Josh aus dem Gleichgewicht und ließ ihn stolpern. Ein Reflex ließ ihn nach Julies Arm greifen. Zusammen stürzten sie zu Boden und den Hang hinab, überschlugen sich mehrmals und blieben ungefähr zwanzig Schritte weiter unten im Tiefschnee liegen. Josh schrie vor Schmerzen und griff nach seinem Fuß.
Julie grub sich prustend aus dem Schnee, stellte erleichtert fest, dass sie sich nicht verletzt hatte, und drehte sich zu Josh um. »Josh! Bist du verletzt?«
»Mein Fuß!«, stöhnte er. Sein Gesicht war blass und vor Schmerz verzerrt. »Gebrochen oder verstaucht!« Er wollte sich aufrichten, fiel aber sofort wieder schreiend zurück. »Verdammt, solche Schmerzen hatte ich noch nie!«
Sie stemmte sich auf die Knie und grub vorsichtig seine Beine aus dem Schnee. Mit den Fingern schob sie behutsam seine Hose
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