Verschollen im Taunus
erschien auf dem Display seines eigenen das Logo der Telefongesellschaft. Im ersten Moment peilte Herr Schweitzer überhaupt nichts, zu sehr gemahnte dieser Umstand an einen Lottogewinn. Das Batteriesymbol leuchtete rot. Nach vielen Sekunden der Abstinenz von Hirn und Reaktionsvermögen hatte er sich wieder gefangen. Der Detektiv hatte sich vorher keine Gedanken gemacht, wen er im Fall der Fälle anrufen wollte. Die verrinnende Zeit war ein Synonym für den nahenden Tod. Bevor’s zu spät war, hatte er eine Entscheidung getroffen. Er, der Atheist, betete zu Gott, Maria möge sich melden.
Männer kennen das Problem. Und die Physik hat dazu ihre eigene Erklärung. Beim ständigen Rütteln von Gegenständen unterschiedlicher Konsistenz und Dichte in einem geschlossenen Unterbringungssystem wie Damenhandtaschen suchen sich schwere Dinge wie Schlüsselbund und Mobiltelefon allmählich ihren Weg in die Tiefe, vorbei an Tampons, Taschentüchern und all den anderen leichtgewichtigen Survivalutensilien, die Frauen immer mitschleppen, um auf den Weltuntergang vorbereitet zu sein. Die Physik hat oft ihr Gutes. Wir denken uns da jetzt mal einen Strand. Einen feinkörnigen Strand aus der Reisewerbung. Wir sehen ihn, erfreuen uns an ihm, sehnen uns nach ihm, und doch machen sich die wenigsten Menschen darüber Gedanken, welche Arbeitsleistung des angrenzenden Meeres und welche Zeitspanne dahintersteckt, bis die rhythmischen Wellen dieses physikalische Gesetz in die Realität umgesetzt haben und die dicken Brocken, auf denen unser Ritual des Handtuchausbreitens keinen Sinn ergäbe, durch die winzigen Sandkörner hindurch ihren Weg nach unten gefunden haben. Nur deswegen ist das Material für Sandburgen so leicht zugänglich.
Trotz des Lärms im Weinfaß, ein Mix aus typischen Kneipengeräuschen und einem Vortrag Weizenwetters – Stammgast und Kumpel von Maria und Herrn Schweitzer, außerdem in der Blüte seiner Trunksucht – über Chinas Dopingsystem während der Olympischen Spiele und warum er sich wegen der Tibetfrage solidarisch weigert, sich diesen Scheiß von Apothekermesse anzutun, hörte Maria schwach ihren Klingelton aus besagter Tiefe ihrer Handtasche. Ewiges Suchen, dann lag das Handy in ihrer Hand.
Simon Schweitzer war unter Schatz registriert. Und Schatz prangte ihr nun entgegen. In manchen Situationen hatte Maria ihrem Schatz einiges voraus. Im speziellen Fall die Schnelligkeit, eine Lage inklusive Tragweite zu erkennen. „Hier Maria … wo zum Teufel …“
Wir wollen es auf seine mißliche Gesamtsituation zurückführen, daß die gewählten Worte des Detektivs recht merkwürdig daherkamen: „Vermißt du mich?“
„Das kann …“, dann war seine Batterie leer und Herr Schweitzer konnte nichts mehr hören, „… man wohl so sagen. Simon? Simon? Si-mon! Si-mon? Hörst du mich? Verdammter Mist.“ Ein Tuten ertönte.
Oberkommissar Schmidt-Schmitt, der neben ihr saß und natürlich alles verfolgt hatte, war trotz der vielen Gläser Belle Rose eines ergiebigen Jahrgangs sofort hellwach und einsatzbereit. Jahrelange Kripo-Routine hatte es so eingerichtet. „Was ist? Maria, sag schon.“
Wie bei vielen anderen Menschen auch, stellte sich die Aufregung bei Maria von der Heide erst im Nachhinein ein: „Das … das … war Simon. Er hat mich gefragt, ob ich ihn vermisse.“
„Wie? Hä?“
„Ehrlich, er hat mich wortwörtlich danach gefragt.“ Sie schaute ihr Handy an, als sei es ein unbekanntes Flugobjekt, aus dem kleine rosa Männchen mit weißer Flagge und Posaunen parademäßig herausmarschierten. Sie hörte sie sogar We can’t get no satisfaction singen.
„Äh … bin ich hier im falschen Film? Oder wie oder was?“
„Was’n für’n Film, was?“ Weizenwetter war wie immer rappeldicht.
„Du hältst dich da jetzt mal raus.“ In Schmidt-Schmitts Stimme vibrierte eine Resolutheit, die Weizenwetter einen kleinkindlichen Schmollmund ziehen ließ, ehe er sich wieder seiner Freundin Karin und dem Apfelweinwirt Buddha Semmler zuwandte. Der Oberkommissar packte Maria am Ärmel und zog sie in den Durchgangsbereich zu den Toiletten.
„Wie soll ich das verstehen? Ist Simon doch nicht spurlos verschwunden? Geht er bloß einem Auftrag nach und hat überhaupt keine Zeit …“, war Maria noch immer perplex von der vermeintlichen Wendung.
Und Mischa Schmidt-Schmitt hieb in dieselbe Kerbe: „Vielleicht hatte er mit seinem Handy einfach keinen Empfang, um dir alles zu erklären. So was kommt öfter vor,
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