Verschollen in der Pyramide
den Sack, nahm die Dechsel heraus und schwang sie vor Sethas Nase hin und her. Setha konnte dem kleinen Beil mit der Kupferklinge nicht viel abgewinnen, auch die Kupfersäge erregte keine große Aufmerksamkeit bei ihr.
»Diese Säge ist sehr wertvoll, sie hat eine schärfere Klinge als die Steinsägen«, erklärte Meketre stolz.
»Gut, dass du Werkzeug bekommen hast«, murmelte Setha, »aber musstest du mich deshalb so lange allein lassen?«
»Das war doch wirklich nicht lange! Wir schaffen es ohne Schwierigkeiten, die Vorräte noch vor Einbruch der Dunkelheit in der Grube zu verstauen. Was hast du denn?«
»Ich weiß nicht, ich . . .«, Setha stockte.
»Setha, du weißt, dass ich dich sehr gern mag, du bist meine Freundin. Wir müssen uns nicht wegen so etwas streiten. Mach dir doch nicht immer solche Sorgen.«
Meketre schaute seine Freundin betrübt von der Seite an. Er konnte sich nur zu gut vorstellen, was in ihr vorging.Er erinnerte sich noch genau daran, wie Sethas Mutter drei Jahre zuvor bei der Geburt ihres Bruders Hatu gestorben war. Seitdem musste sich Setha um ihre Geschwister kümmern und fühlte sich mit der Verantwortung oft überfordert. Nicht auszudenken, wenn ihrem Vater etwas passieren würde.
Meketre band den Esel an einem Holzpfosten vor der Hütte fest und schleppte die Wasserkrüge zur Grube. Setha legte das Brot, die Datteln, die restlichen Feigen und den größten Teil des eingelegten Gemüses hinein. Während sie sich zur Vorratsgrube hinunterbeugte, löste sich ihr Haar und umrahmte ihr Gesicht wie ein Bild.
»Wie schön dein Haar ist«, Meketre strich sacht über ihren Kopf. »Die meisten reichen Mädchen sehen selbst mit ihren Perücken nicht so hübsch aus wie du.«
»Es ist fast ein bisschen dick für diese Hitze.« Setha spürte, wie eine warme Welle ihren Körper durchströmte. Sie befasste sich geschäftig mit dem eingelegten Gemüse. Einen Teil davon hatte sie in eine Schale gegeben, die sie auf die Schlafmatte ihres Vaters stellte. »Damit mein Vater es gleich sieht, wenn er hereinkommt.«
Inzwischen hatte sich die Dämmerung über das Dorf der Pyramidenbauer gesenkt. Setha und Meketre wollten vor der Hütte auf Mahnud warten. Als sie aus der Tür traten, stießen sie fast mit ihm zusammen. »Seid gegrüßt, Setha und Meketre«, sagte er matt, »ich freue mich, dass ihr hierseid.« Mahnud trat mit seiner Öllampe in die Hütte. Er lächelte, als er das eingelegte Gemüse sah. »Das esse ich später, wenn ich mich etwas ausgeruht habe, jetzt will ich nur schnell etwas trinken.«
Setha bemerkte sofort, dass etwas nicht in Ordnung war. Ihr Vater hatte sonst immer gleich das Gemüse gegessen, weil es ihm so gut schmeckte.
»Was bedrückt dich, Vater?«
»Lasst uns an die Feuerstelle gehen«, wich Mahnud aus, »da können wir reden.«
Mahnud trank mit hastigen Zügen von dem kühlen Wasser aus der Grube. Setha erschrak, als ihr Blick auf das Amulett um seinen Hals fiel. Es stellte Ptah dar, den Gott der Künstler und Handwerker, und es kam Setha unnatürlich groß vor. Die eng anliegende Kappe des Gottes schien sich vom Kopf zu lösen, der gerade Königsbart am Kinn der Figur zitterte.
»Was ist mit dir, Setha?«
»Das Amulett auf deiner Brust, es lebt!«
»Das sieht nur so aus. Das Licht der Öllampe tanzt auf dem Amulett und lässt es lebendig erscheinen.« Kaum hatte Mahnud geendet, hing es wieder reglos auf seiner Brust. Es hob und senkte sich nur bei jedem Atemzug. Dennoch fühlte sich Setha nicht beruhigt.
Sie traten vor die Hütte, wo Hakem, der jüngste Hüttenbewohner, bereits ein Feuer angezündet hatte. Auch Esa, der älteste der Mitbewohner und der einzige, deraußer Mahnud und seinem Kollegen Nufri in der Pyramide arbeitete, hatte sich eingefunden und nach und nach kamen Irukaptah, Anukis und Djehuti. Alle setzten sich um das Feuer, keiner sagte etwas, nur Hakem stimmte leise ein schwermütiges Lied an. Seine Stimme verlor sich im Knistern des verbrennenden Dungs und im zischenden Geräusch der herabfallenden Insekten, die mit angesengten Flügeln im Feuer verglühten. Eine Schlange flüchtete aus dem Feuerschein und hinterließ, für alle sichtbar, eine gezackte Spur.
Setha hielt das lähmende Schweigen nicht länger aus. »Wo sind denn Scheftu und Nufri?«, fragte sie angespannt.
»Scheftu durfte nach Hause, weil sein jüngstes Kind gestorben ist«, antwortete Mahnud zögernd.
Setha schluckte: »Und Nufri, wo bleibt der?«
Wieder entstand eine Pause,
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