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Verschollen

Titel: Verschollen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Smedberg
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Nielsen musterte sie und versuchte, ihr Alter zu schätzen.
    Ihre Blicke trafen sich.
    »Ich war damals um die dreißig«, sagte sie. »Wenn Sie wollen, können Sie es ausrechnen. Denn damit sind Sie doch gerade beschäftigt, oder?«
    »Ich hätte Sie keinen Tag älter als vierzig geschätzt.«
    Sie lachte gerade heraus.
    »Sie Schmeichler! Das funktioniert bei allen alten Weibern, dachten Sie, was?«
    Er nickte.
    »So was in die Richtung. Ich bin nicht besonders originell.«
    Sie lachte erneut.
    »Mit Ihrem Aussehen müssten Sie das aber sein, könnte man meinen.«
    Er mochte sie sofort. Es hatte ihn einen ganzen Tag gekostet, jemanden ausfindig zu machen, der ihm sowohl etwas über Anna-Greta Sjödin als auch über die Geschwister Härlin erzählen konnte. Mithilfe der Schulverwaltung in Östersund hatte er die Namen einiger Gymnasiallehrer erhalten, die zu diesem Zeitpunkt im Schuldienst gewesen waren. So gelang es ihm, einen pensionierten Geschichtslehrer aufzuspüren, der noch immer in der Gegend lebte und bereit war, sich mit ihm zu unterhalten. Aber seine Erinnerungen waren vage, sehr allgemein und nicht sonderlich ergiebig. Trotz der Ereignisse konnte er sich von den drei Jugendlichen nicht besonders viel ins Gedächtnis rufen. Schließlich hatte er innegehalten und kurz überlegt. »Sprechen Sie mit einer der Schulkrankenschwestern, wenn man die jetzt noch wiederfindet. Die hatten immer einen sehr guten Überblick.«
    Marianne Linde war in der fraglichen Zeit ohne Unterbrechung Schulkrankenschwester gewesen.
    »Ich bin bis Ende der Siebziger geblieben«, sagte sie und nickte. »Danach bin ich zurück ins Krankenhaus gegangen und habe dort fast zehn Jahre gearbeitet. Am Ende hatte ich den Eindruck, ich tue das als Buße für meine Sünden. Dann war ich eine Zeit lang in Norwegen, nachdem ich erkannt hatte, dass es zulässig war, gutes Geld zu verdienen, auch für jemanden, wie mich. Ich habe dort für meine Altersversorgung dazuverdient.«
    Sie verstummte.
    »Aber das ist eine andere Geschichte. Sie hatten nach Anna-Greta Sjödin gefragt. Ja doch, ich erinnere mich sehr gut an sie. Ich hatte ein paar Mal Kontakt mit ihr in diesen drei Jahren, aber dabei ging es nie um wirklich große Probleme.«
    Sie lachte auf.
    »Sie war vielleicht ein wenig zu gesund, als dass wir häufiger die Gelegenheit hatten, uns näher kennenzulernen.«
    John Nielsen nickte.
    »Und in welchen Angelegenheiten hat sie die Krankenstation aufgesucht?«
    Marianne Linde sah ihn eine Weile prüfend an.
    »Ich weiß nicht so genau, wie das mit der Schweigepflicht ist, nach dreißig Jahren«, sagte sie dann. »Aber ich habe auch keine Lust etwas zu sagen, was ein schiefes Bild von ihr zeichnen würde.«
    Nielsen machte eine Handbewegung.
    »Daran habe ich erst recht kein Interesse. Und das Einzige, was Sie tun können, ist, mir zu vertrauen oder nicht.«
    Sie wartete einen Augenblick, fixierte ihn. Dann nickte sie kurz. »Na, es sind schließlich keine sensationellen Dinge, um die es hier geht. Hauptsächlich, glaube ich, um Verhütungsmittel. Das war zu der Zeit, als die Antibabypille aufkam, und ich erinnere mich, dass es einige Diskussionen darüber gab. Ich habe ziemlich aktiv Aufklärung betrieben: über Verhütungsmittel, Sexualtechniken und so weiter. Und besonders die jungen Mädchen waren sehr daran interessiert, mit mir zu reden - unter vier Augen.«
    Sie lachte erneut.
    »Ja, eigentlich kamen ausschließlich Mädchen. Ich erinnere mich nicht, dass ein einziger Junge aus diesem Grund zu mir kam.«
    Sie schwieg und sah nachdenklich vor sich hin.
    »Ich frage mich, ob das heute anders wäre? Ich bezweifle das allerdings, auch wenn ich es gerne glauben würde. Trotz all der Geschichten, die passieren, trotz Aids. Ich frage mich, womit das zusammenhängt? Können Sie mir das erklären?«
    »Als Repräsentant des männlichen Geschlechts? Ich vermute, es liegt daran, dass wir solche Schweinehunde sind«, erwiderte Nielsen mit einem säuerlichen Tonfall.
    Marianne Linde sah ihn an.
    »Und immer ein bisschen zu empfindlich«, sagte sie. »Können Sie mir das auch erklären?«
    Er verzog den Mund, schüttelte den Kopf.
    »Anna-Greta Sjödin«, sagte er. »Ob wir uns wieder ihr widmen könnten? Was erinnern Sie noch von ihr?«
    »Dass sie ein sehr offener Mensch war, es war nicht schwer, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Begabter als ein Großteil der anderen, ehrgeizig, aber ohne zu der absoluten Spitze zu gehören, glaube ich. Ausgeglichen.

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