Verschollen
versucht«, erwiderte Nielsen knapp. »Ich habe heute Nachmittag angerufen. Es gibt keinen Kaj Härlin unter dieser Nummer. Es gibt keinen einzigen Kaj Härlin in der Stockholmer Gegend.«
Olle Ivarsson sah ihn prüfend an.
»Sie haben sich also verhört.«
Nielsen schüttelte den Kopf. »Ich habe den Namen notiert. Und die Nummer.«
Er holte den Notizblock aus der Innentasche hervor und warf es auf den Tisch. »Ich habe Ihnen doch gesagt, dass ich das immer so mache. Und ich erinnere mich, dass ich die Nummer mit der auf dem Display verglichen habe. Aber der Besitzer dieser Nummer ist Bengt Andersson. Oder er war es vielmehr. Der Anschluss ist letzten Frühling gekündigt worden. Kurz nachdem der Artikel erschienen war und ich diesen Anruf erhalten hatte. Und es gibt keinen weiterführenden Vermerk.«
Ivarsson schwieg eine Weile.
»Man kann sich leicht irren«, sagte er schließlich. »Man kann sich todsicher sein, dann taucht etwas auf, das einem zeigt, dass man sich getäuscht hat. Ich habe das so oft bei Zeugenaussagen gesehen.«
John Nielsen wehrte ab.
»Das wäre doch eine sehr sonderbare Verwechslung, finden Sie nicht? Dass ich ausgerechnet diesen Namen aufgeschnappt habe?«
Olle Ivarsson runzelte die Stirn.
»Es kann doch ein Wahnsinniger gewesen sein«, sagte er nachdenklich. »Der sich das in den Kopf gesetzt hat und angeben wollte. Was auch nicht viel erfreulicher ist. Aber um Kaj Härlin müssen Sie sich auf jeden Fall wirklich nicht kümmern. Zumindest nicht um diesen Kaj Härlin.«
Nielsen sah ihn an. Er musste an das Kleid denken, das er in der Kleiderkammer gesehen hatte. Und er wusste, dass er Ivarsson wahrscheinlich niemals würde fragen können, aus welchem Grund es dort hing.
5
Er überflog die Zeitungen. Es hatte schon seit einiger Zeit nichts mehr darin gestanden. Aber das spielte keine Rolle. Er war überzeugt, dass Nielsen weitermachen, dass er auf seine umständliche, grüblerische Art an der Sache dranbleiben würde. Er würde weiter nach Erklärungen und Motiven suchen, würde sich ein Bild machen wollen. Er würde nicht aufgeben, war gezwungen, eine Antwort zu finden.
Er musste lächeln, als er an ihn dachte. Ein alter Hund, der herumschnüffelte, hier und da die Witterung verlor, dann verwirrt und mit hängendem Schwanz stehen blieb. Vermutlich würde es notwendig sein, neue Fährten auszulegen, ihn zu leiten.
Dann schüttelte er sich, irritiert über sich selbst. Er wusste, dass er sich ganz raushalten sollte und verschwinden sollte. Als hätte es ihn nie gegeben. Es gab für ihn keinen einzigen Grund, das Spiel fortzusetzen. Das Ganze war idiotisch.
Plötzlich spürte er, wie sie ihn ansah, den Kopf auf die Seite gelegt, mit diesem spöttischen, aufreizenden Lächeln. Wie sie ihn lockte, wie sie ihn zwang, weiterzumachen.
Dich kann doch keiner sehen
, sagte sie.
Du kannst machen, was du willst. Du bist unsichtbar. Wir sind unsichtbar.
Wie damals.
Sie waren gerade durch den Ort gefahren, im Tageslicht, ohne dass jemand es zu bemerken schien. Dede saß auf dem Beifahrersitz, das Fenster heruntergekurbelt, auf den Lippen ein fiebriges Lächeln. So als würde sie wirklich an ihre Unsichtbarkeit glauben. Oder wollte sie doch gesehen werden?
Hatte sie darum Kontakt zu Anna aufgenommen? Um endlich wieder wirklich zu werden? Dass sie jemand sehen, sie festhalten und wecken würde?
Anna war kreidebleich gewesen und zitterte, als sie auf sie zukam. »Das kann nicht wahr sein«, hatte sie immer wieder gesagt. »Das kann nicht wahr sein.«
Dede lachte und hustete. »Nein, das ist nicht wahr. Wir sind nicht wahr!«
Und dann die beiden Körper im Kofferraum, die bereits angefangen hatten zu stinken, süßlich, Übelkeit erregend, obwohl sie die ganze Zeit mit heruntergekurbelten Fenstern fuhren. Anna hatte sich hin und her gedreht und die Nase gerümpft.
»Was stinkt hier so? Riecht ihr das? Ist da was im Auto...«
Er hatte gewusst, was er tun musste. Es gab keinen Ausweg, nicht für ihn.
Er sah hinaus auf die Bäume. Es hatte begonnen zu schneien. Plötzlich fühlte er sich rastlos, gehetzt. Dasselbe Gefühl wie damals. Wieder war er gezwungen, die Verantwortung für das zu übernehmen, was kommen würde. Er musste es fortsetzen.
6
Das Gesicht von Marianne Linde war braun gebrannt, trotz der Jahreszeit. Als wäre sie gerade von einer Charterreise zurückgekehrt. Oder sie war eine fleißige Solariumbesucherin. Ein feines Netz aus Fältchen lag um Augen und Mundwinkel. John
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