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Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Verschwiegen: Thriller (German Edition)

Titel: Verschwiegen: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: William Landay
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meinen Kindern anders ergehen sollte, sie sollten nicht erfahren, was es heißt, vaterlos aufzuwachsen. In ein paar Jahren würde Jake mich verlassen, ein merkwürdiges Gefühl. Er würde auf irgendein College gehen, und meine Zeit als aktiver, allzeit bereiter Vater würde auslaufen. Ich würde ihn immer seltener sehen, und dann irgendwann nur ein paarmal im Jahr, in den Ferien oder an Wochenenden. Ich konnte mir das nicht richtig vorstellen. In erster Linie war ich der Vater von Jacob.
    Dann kam mir ein anderer Gedanke, der sich unter den Umständen aufdrängte: Zweifellos hatte Dan Rifkin seinen Sohn ebenso beschützen wollen wie ich meinen, und zweifellos war er genauso wenig wie ich darauf vorbereitet gewesen, von ihm Abschied zu nehmen. Doch Ben Rifkin lag in einem Kühlfach in der Gerichtsmedizin, mein Sohn in seinem warmen Bett. Ein Umstand, der nur einem glücklichen Zufall zu verdanken war. Ich gestehe und schäme mich dafür, dass ich dachte: Gott sei Dank. Gott sei Dank, dass er sein Kind zu sich genommen hat und nicht meines . Ich würde diesen Verlust nicht überleben, davon war ich überzeugt.
    Ich ging neben dem Bett in die Knie, umschlang Jacob mit meinen Armen und legte meinen Kopf an seinen. Als kleiner Junge war er jeden Morgen verschlafen über den Flur in unser Bett zum Kuscheln gekommen. In meinen Armen fühlte er sich jetzt mit einem Mal unglaublich groß, knochig und unhandlich an. Er war vierzehn, sah gut aus, mit dunklen Locken und einer gesunden Gesichtsfarbe. Im Wachzustand hätte er eine Umarmung niemals zugelassen. In den letzten Jahren war er mürrisch und verschlossen geworden und ziemlich unerträglich. Manchmal schien es, als hätte man einen Fremden im Haus, noch dazu einen besonders unfreundlichen. Typisches Teenagerverhalten, meinte Laurie. Er sei gerade dabei, verschiedene Persönlichkeiten auszuprobieren und die Kindheit endgültig hinter sich zu lassen.
    Ich war überrascht, als meine Berührung Jacob tatsächlich beruhigte und seinen Albtraum offenbar verscheuchte. Er atmete einmal tief ein und rollte dann auf die andere Seite. Sein Atem wurde flacher und dann regelmäßig, und er sank in einen tiefen Schlaf, einen Zustand, den ich nicht mehr kenne. (Im Alter von einundfünfzig Jahren schien ich das Schlafen verlernt zu haben. Ich wachte nachts mehrmals auf und kam selten auf mehr als vier oder fünf Stunden Schlaf.) Die Vorstellung, dass ich ihn hatte beruhigen können, gefiel mir, aber wer weiß? Vielleicht hatte er meine Anwesenheit nicht einmal bemerkt.
    Wir waren alle drei gereizt an jenem Morgen. Die Wiedereröffnung der McCormick-Schule gerade mal fünf Tage nach dem Mord ließ keinen von uns kalt. Wir folgten unserer üblichen Routine: duschen, Kaffee und Bagels zum Frühstück, ein Blick in den Computer für E-Mails und die letzten Sportergebnisse. Doch waren wir angespannt und übellaunig. Zwar waren wir schon um halb sieben auf den Beinen, aber wir trödelten und waren schließlich spät dran, was unsere Nervosität nur noch steigerte.
    Vor allem bei Laurie lagen die Nerven blank. Sie hatte nicht nur um Jacob Angst, glaube ich. Der Mord hatte sie nachhaltig erschüttert und verunsichert. Sie glich einem Gesunden, der zum ersten Mal ernsthaft erkrankt ist. Man hätte annehmen können, dass Laurie, die seit Jahren mit einem Staatsanwalt zusammenlebte, besser auf eine solche Situation vorbereitet wäre als unsere Nachbarn. Sie hätte wissen müssen, dass das Leben tatsächlich weitergeht (meine hartherzigen und gefühllosen Worte von letzter Nacht). Selbst die krudeste Gewalt führt am Ende zu Gerichtsroutine: ein Aktenstapel, ein paar Beweisstücke und ein Dutzend schwitzender, stammelnder Zeugen. Die Welt wendet sich anderen Dingen zu, und warum auch nicht? Menschen sterben, einige von ihnen gewaltsam – stimmt, das ist tragisch, aber irgendwann verliert es seinen Schrecken, wenigstens für einen altgedienten Staatsanwalt. Laurie hatte diese Abläufe an meiner Seite viele Male miterlebt, und doch hatte sie dieser Einbruch von Gewalt in ihr Leben völlig verstört. Das war abzulesen an ihren Bewegungen, an ihrem gekrümmten Rücken, ihrer gedämpften Stimme. Sie bemühte sich, Haltung zu bewahren, und tat sich schwer damit.
    Jacob starrte in sein MacBook und kaute schweigend an einem zähen Tiefkühlbagel, den er in der Mikrowelle aufgetaut hatte. Wie so oft versuchte Laurie seine Aufmerksamkeit zu erregen, aber er ließ sie abblitzen.
    »Wie findest du das, dass es

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