Verschwiegen: Thriller (German Edition)
behaupten, dass Jacob keine Angst hatte. Ich fürchtete mich ebenfalls. Wir alle. Nur hatte bei Jacob die Angst zur Folge, dass er prahlte. Ich wurde aggressiv, mit Adrenalin und Testosteron vollgepumpt, lief ich innerlich auf Hochtouren. Die Möglichkeit, dass die Katastrophe einer Verurteilung bevorstand, schärfte unsere Wahrnehmung.
Laurie war noch pessimistischer. Wenn es allzu eng würde, würden die Geschworenen ihrem Pflichtgefühl gehorchen und für einen Schuldspruch plädieren, meinte sie. Sie würden kein Risiko eingehen. Hinter Gitter mit diesem Monster von einem Teenager, würden sie sagen, zum Schutz unser aller Kinder, und fertig. Der Mord an Ben Rifkin schrie nach Sühne. Ohne einen Schuldigen, der am Galgen baumelte, würde es nicht abgehen. Und wenn dabei zufällig Jacobs Kopf in der Schlinge hing, dann war es eben so. In Lauries düsteren Prognosen schwang für mich noch etwas anderes, Dunkleres mit, aber ich ging diesem Eindruck nicht nach. Manche Gefühle lässt man besser ruhen. Es gibt Dinge, die soll eine Mutter über ihren Sohn nicht laut sagen müssen, selbst wenn sie sie glaubt.
Und so beschlossen wir an jenem Abend eine Waffenruhe und hörten auf, die Indizien der Forensik, von denen wir tagsüber erfahren hatten, immer wieder von Neuem durchzukauen. Kein Wort mehr über Blutspritzer und ihre diversen Erscheinungsformen, Einstichwinkel oder dergleichen mehr. Stattdessen saßen wir auf dem Sofa und sahen in einträchtigem Schweigen fern. Als Laurie gegen zehn nach oben ging, kam mir der Gedanke, ihr zu folgen. Einst hätte ich genau das getan, meine Libido hätte mich wie an einer Leine über die Treppe nach oben gezogen. Aber das war jetzt alles vorbei. Laurie hatte kein Interesse mehr an Sex, und ich konnte mir nicht vorstellen, einfach neben ihr einzuschlafen oder überhaupt Schlaf zu finden. Und jemand musste auch den Fernseher abstellen und Jacob sagen, dass er ins Bett gehen sollte, sonst würde er bis zwei Uhr nachts davor sitzen bleiben.
Kurz nach elf meinte Jacob: »Da ist er wieder.«
»Wer?«
»Der Typ mit der Zigarette.«
Ich spähte durch die hölzernen Fensterläden in unserem Wohnzimmer.
Genau auf der anderen Straßenseite stand unter einer Laterne ganz frech der Lincoln Town Car. Das Fenster war einen Spalt weit geöffnet, damit der Fahrer bequem die Zigarettenasche herausschnippen konnte.
»Wollen wir die Polizei rufen?«, fragte Jacob.
»Nein, ich kümmere mich selber drum.«
Ich ging zu dem Garderobenschrank im Flur und kramte einen Baseballschläger heraus, der dort seit Jahren herumstand. Jacob musste ihn dort nach einem seiner Spiele zwischen die Regenschirme und Stiefel geworfen haben. Er war aus Aluminium und rot.
»Vielleicht ist das keine wirklich gute Idee, Dad.«
»Du wirst sehen, das ist eine wunderbare Idee.«
Im Rückblick muss ich zugeben, dass er recht hatte, es war keine wunderbare Idee. Mir war klar, dass es das Bild, das sich die Leute von mir und sogar von Jacob machten, negativ beeinflussen konnte. Ich wollte dem Zigarettenmann da draußen einfach nur ein bisschen Angst einjagen, ohne ihm Schaden zuzufügen. Ich hatte das Gefühl, ich könnte Bäume ausreißen, und wollte endlich handeln. Im Grunde war ich nicht sicher, wie weit ich dabei gehen würde. Doch sollte es erst gar nicht dazu kommen.
Sowie ich auf den Bürgersteig vor meinem Haus trat, raste eine Zivilstreife heran. Das Auto schien aus dem Nichts zu kommen, sein Blaulicht erhellte die Straße. Die Streife fuhr vor den Lincoln und versperrte ihm den Weg.
Paul Duffy kam herausgesprungen. Er trug Zivilkleidung, nur seine Windjacke und ein Anhänger an seinem Gürtel wiesen ihn als Angehörigen der bundesstaatlichen Polizei aus. Er warf mir einen Blick zu und hob die Augenbrauen. Ich hatte den Baseballschläger mittlerweile fallen lassen, aber ich gab vermutlich immer noch einen lächerlichen Anblick ab. »Geh ins Haus zurück, Sportsfreund.«
Ich rührte mich nicht von der Stelle. Was ich für Duffy zu dem Zeitpunkt empfand, war derart unklar, dass ich nicht auf ihn hörte.
Duffy ignorierte mich und ging auf den Wagen zu.
Die Scheibe an der Fahrerseite fuhr nach unten, und der Mann fragte: »Was gibt es?«
»Ihren Führerschein und die Wagenpapiere, bitte.«
»Was habe ich falsch gemacht?«
»Ihren Führerschein und die Wagenpapiere, bitte.«
»Ich darf doch in meinem Auto sitzen, oder nicht?«
»Verweigern Sie, sich auszuweisen, Sir?«
»Ich verweigere überhaupt
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