Verschwiegen: Thriller (German Edition)
etwas vorgemacht, genau danach sah es aus, und zum ersten Mal stellte ich mir vor, was es bedeuten würde, wenn Jacob im Gefängnis in Concord einsitzen würde.
Fünfunddreißigstes Kapitel
Argentinien
Als wir an jenem Abend vom Gericht nach Hause fuhren, steckte meine düstere Stimmung auch Jacob und Laurie an. Ich war von Anfang an der Fels in der Brandung gewesen, und dass ich jede Hoffnung verlor, beunruhigte sie sehr. Ich betete das Übliche her: Dass man sich an guten Tagen gut und an schlechten schlecht fühlt; dass die Beweise der Anklage auf den ersten Blick immer überzeugend wirken und dass sich das später, wenn man den Fall überblickt, ändern kann; dass man das Urteil einer Jury niemals voraussagen kann und dass es ein Fehler war, dem Verhalten der Geschworenen Bedeutung beizumessen. Doch meine Tonlage verriet mich. An jenem Abend war der Prozess aus meiner Sicht verloren. Auf jeden Fall war der Schaden so groß, dass wir uns eine solide Verteidigungsstrategie überlegen mussten. Es war blödsinnig, jetzt noch an einen »berechtigten Zweifel« zu glauben: Jacobs Geschichte war so gut wie ein Geständnis, und Jonathan konnte Dereks Aussage, dass Jacob sie verfasst hatte, nicht widerlegen, egal, wie er es anfing. Ich äußerte das alles nicht, denn mit der Wahrheit war nichts zu gewinnen. »Heute war kein guter Tag«, lautete daher mein einziger Kommentar. Aber das reichte schon.
Weder Father O’Leary noch irgendjemand anderer wachte in jener Nacht über uns. Wir verharrten in vollständiger Isolation, selbst im Weltall hätte die Einsamkeit nicht größer sein können. Wie schon unzählige Male während der letzten Monate ließen wir Essen vom Chinesen kommen, denn die belieferten uns, und der Fahrer sprach so wenig Englisch, dass nicht die Gefahr bestand, dass wir uns schämen mussten, wenn wir ihm die Tür öffneten. Und so knabberten wir an unseren Spareribs ohne Knochen und am Hühnchen à la General Gao und verkrochen uns dann in unsere Zimmer. Wir hatten von dem Prozess zu sehr die Nase voll, um noch darüber reden zu wollen, und gleichzeitig beschäftigte er uns zu sehr, um über etwas anderes zu reden. Für die Blödsinnigkeiten des Fernsehens fehlte uns die Laune – mit einem Mal begriffen wir die Endlichkeit unseres Lebens und wollten keine Zeit mehr verschwenden –, und zum Lesen fehlte uns die Konzentration.
Gegen zehn ging ich in Jacobs Zimmer, um nach ihm zu sehen. Er lag auf dem Rücken ausgestreckt im Bett.
»Alles klar, Jacob?«
»Nicht wirklich.«
Ich setzte mich zu ihm auf die Bettkante. Er schob seinen Hintern zur Seite, um mir Platz zu machen, aber er war mittlerweile so groß, dass kaum Raum für uns beide blieb. (Als Baby machte er sein Nickerchen oft auf meiner Brust, damals war er nicht größer als ein Laib Brot.)
Er rollte sich auf die Seite und stützte den Kopf in eine Hand. »Kann ich dich was fragen, Dad? Würdest du’s mir sagen, wenn du glaubst, dass es für mich schlecht aussieht und der Prozess nicht gut ausgeht?«
»Warum?«
»Nicht ›warum‹, sondern würdest du’s mir sagen?«
»Ich glaube schon.«
»Weil es keinen Sinn hätte … was würde aus dir und Mama, wenn ich abhauen würde?«
»Wir würden unser ganzes Geld verlieren.«
»Würde man euch das Haus wegnehmen?«
»Ja, wir haben es als Sicherheit für die Kaution eingesetzt.«
Er dachte darüber nach.
»Es ist nur ein Haus«, beschwichtigte ich ihn. »Es würde mir nicht fehlen. Du bist wichtiger.«
»Ja, trotzdem. Wo würdet ihr dann leben?«
»Hast du darüber nachgedacht, während du hier lagst?«
»Ein bisschen.«
Laurie kam zur Tür. Sie verschränkte ihre Arme und lehnte sich an den Rahmen.
»Wohin würdest du gehen?«, fragte ich ihn.
»Nach Buenos Aires.«
»Nach Buenos Aires? Warum dorthin?«
»Soll cool sein.«
»Und wer behauptet das?«
»In der Times war ein Artikel - das Paris von Südamerika.«
»Ah. Ich wusste gar nicht, dass es auch in Südamerika ein Paris gibt.«
»Buenos Aires liegt doch in Südamerika, oder?«
»Ja, in Argentinien, aber vielleicht solltest du noch etwas mehr Informationen einholen, bevor du dich auf den Weg machst.«
»Gibt es da ein … wie heißt das noch mal … ein Flüchtlingsabkommen?«
»Du meinst ein Auslieferungsabkommen? Keine Ahnung. Vielleicht solltest du das vorher besser herausfinden.«
»Wahrscheinlich eine gute Idee.«
»Und wie würdest du für dein Flugticket bezahlen?«
»Nicht ich, du zahlst dafür.«
»Und was
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