Verschwiegen: Thriller (German Edition)
hörte einfach nicht auf. Der andere hat ihn bestimmt gehört, er ging genau an uns vorbei. Wir haben Jake alle angeschaut, wie um zu fragen, ›was ist denn mit dir los?‹ Es war einfach richtig gemein. Sie sind Jakes Vater, und ich sage das nicht gerne, aber Jake kann richtig gemein sein. Wenn er so ist, bleibe ich lieber weg von ihm. Ich bekomme dann richtig Angst, um ehrlich zu sein.«
Derek verzog bedauernd das Gesicht, so als ob auch er sich zum ersten Mal etwas Unangenehmes eingestehen müsste. Sein Freund Jake hatte ihn enttäuscht. Etwas weniger düster und angewidert fuhr er fort: »Und dann, ich glaube, es war im letzten Herbst, fand Jake diesen kleinen Hund. Er hatte sich verlaufen, nehme ich an, denn er hatte ein Halsband um. Jake hatte ihn an einer Schnur und nicht an einer Leine.«
»Jake hatte noch nie einen Hund.«
Wieder nickte Derek bekümmert, so als ob es seine Pflicht wäre, Jakes bedauernswertem, nichtsahnendem Vater das alles zu erzählen. Er schien mit einem Mal zu begreifen, wie naiv Eltern sein können, und das war eine enttäuschende Erkenntnis.
»Ich traf ihn dann später wieder und fragte nach dem Hund. Jake meinte: ›Ich musste ihn begraben.‹ Und ich: ›Ist er einfach so gestorben?‹ Aber er gab keine direkte Antwort und sagte nur immer wieder: ›Ich musste ihn begraben.‹ Danach habe ich mich von Jake für eine Weile ferngehalten, denn ich wusste, was passiert war. Ich wusste, dass etwas Schlimmes passiert war. Überall, an Telefonmasten und Bäumen, war dieser Aushang von der Familie, die ihren Hund suchte. Mit einem Bild von ihm. Ich habe meinen Mund gehalten, und irgendwann hat die Familie aufgegeben. Ich habe versucht, das Ganze einfach zu vergessen.«
Wir schwiegen einen Augenblick lang. Als ich sicher war, dass er nichts mehr hinzufügen wollte, fragte ich: »Wie konntet ihr immer noch befreundet sein, nachdem du das alles über ihn wusstest?«
»Wir waren auch nicht mehr so befreundet wie früher als Kinder. Wir kannten uns einfach schon seit ewigen Zeiten, das ist etwas anderes.«
»Aber ihr wart immer noch Freunde?«
»Keine Ahnung. Manchmal habe ich den Eindruck, dass er nie ein richtiger Freund war. Ich kannte ihn einfach aus der Schule. Ich glaube, im Grunde war ich ihm egal. Er mochte mich, das schon. Aber meistens war ich ihm egal.«
»Und was war, wenn du ihm mal nicht egal warst?«
Derek zuckte mit den Schultern. Seine Antwort kam etwas unvermittelt, aber ich gebe sie trotzdem weiter: »Ich war mir immer sicher, dass er eines Tages in Schwierigkeiten kommen würde. Aber ich dachte, vielleicht erst als Erwachsener.«
Wir saßen noch eine Weile da und schwiegen. Wir waren uns beide im Klaren, dass er die Worte, die er gerade gesagt hatte, nicht mehr zurücknehmen konnte.
Langsam fuhr ich durch das Stadtzentrum nach Hause zurück. Ich genoss die Fahrt. Vielleicht sehe ich das nur im Rückblick so, aber ich glaube, ich ahnte, was bevorstand. Etwas war unwiderruflich vorbei, und es war ein kleines Zugeständnis, die Rückfahrt und damit die Normalität ein bisschen zu verlängern.
Zu Hause ging ich geradewegs in das Zimmer meines Sohnes.
Der iPod, ein handliches kleines Rechteck aus Glas, lag auf dem Schreibtisch und leuchtete auf, als ich ihn in die Hand nahm. Er war durch ein Passwort geschützt. Doch hatte er den iPod nur unter der Bedingung weiterbenutzen dürfen, dass er uns das Passwort gab. Ich gab es also ein und öffnete den Web-browser. Jacob hatte eine kleine Auswahl von Webseiten auf der Bookmark-Leiste: Facebook, Gmail und ein paar Blogs mit Technik, Videospielen und Musik, die ihm gefielen. Keine Spur von einer Seite namens The Cutting Room. Ich suchte sie per Google.
Auf der Webseite konnten Benutzer einfache Textnachrichten für andere posten. Die Geschichten auf der Seite waren genau so, wie Derek sie beschrieben hatte: ausgiebige Sexualfantasien mit Sadismus, Verstümmelung, Vergewaltigung und Mord. Nur bei ganz wenigen ging es nicht um Sex, sondern um Gewalt um ihrer selbst willen, so wie in den Splatter-Horror-Filmen in den Kinos. Es gab keine Bilder, keine Videos, sondern nur unformatierten Text. Aus dem Browser ließ sich nicht ersehen, welche Geschichten Jacob gelesen hatte, noch wie viel Zeit er auf dieser Webseite verbrachte. Doch war ersichtlich, dass Jacob als Mitglied registriert war: Oben auf der Seite stand sein Benutzername, »Job«, ein Wortspiel aus seinem Vor- und Nachnamen.
Ich klickte auf den Namen, und ein Link
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