Verschwiegen: Thriller (German Edition)
Supermarkt. Wir waren fast wieder die Alten – Laurie, ganz kompetente Hausfrau, die Mahlzeiten plante und beim Einkaufen den Überblick behielt; ich als grummeliger Ehemann, der hier und da etwas entdeckte und es in den Einkaufswagen legte; und Jacob, der Teenager, der schon etwas zu essen verlangte, bevor wir die Kasse erreicht hatten. Wir spazierten die Gänge auf und ab, machten harmlose Witze über die biologisch-dynamischen Produkte auf den Regalen und erfreuten uns an den eingepackten Waren um uns herum. An der Käsetheke ließ Jacob einen Witz über den Geruch eines starken Gruyère los, den sie den Kunden zum Probieren anboten, und seine Folgen für die Verdauung, wenn man zu viel davon aß. Wir lachten alle drei, nicht weil der Witz besonders komisch gewesen wäre (obgleich ich nichts gegen solche Witze habe), sondern weil Jacob überhaupt wieder einmal einen Witz gemacht hatte. Den Sommer über war er still geworden, und wir waren froh, in ihm wieder unseren kleinen Jungen zu erkennen. Er lächelte, und es fiel schwer, ihn als das Monster zu sehen, für das ihn seine Umwelt hielt.
Wir lächelten immer noch, als wir den letzten Gang Richtung Kassenbereich verließen. Die Kunden ordneten sich in Schlangen vor den Kassen, und auch wir warteten am Ende einer kurzen Schlange. Laurie hatte ihre Hand auf den Haltegriff des Einkaufswagens gelegt, ich stand neben ihr, und Jacob wartete hinter uns.
Dan Rifkin steuerte auf die Schlange neben uns zu. Er war nur wenige Meter entfernt. Zuerst bemerkte er uns nicht. Die Sonnenbrille war in sein Haar hochgeschoben; er trug sorgfältig gebügelte Khakihosen und ein Poloshirt. Auf seinem blauen Stoffgürtel waren kleine Anker aufgedruckt, seine bloßen Füße steckten in Sportschuhen mit dünnen Sohlen. Es war ein legerer Country-Stil, den ich an erwachsenen Männern immer lächerlich finde. Jemand, der von Natur aus eher einen formalen Eindruck macht, sieht merkwürdig aus, wenn er sich um Lockerheit bemüht. Genauso wie umgekehrt ein eingefleischter Gammler in einem Anzug eine komische Figur macht. Und Dan Rifkin war nicht der Typ, der in kurzen Hosen einen entspannten Eindruck machte.
Ich wandte ihm meinen Rücken zu und flüsterte Laurie zu, dass er neben uns in der Schlange stand.
Sie legte ihre Hand über den Mund. »Wo?«
»Genau hinter mir. Dreh dich nicht um.«
Natürlich drehte sie sich um.
Auch ich wandte mich um und sah, dass Rifkins Ehefrau, Joan, neben ihm aufgetaucht war. Sie war wie ihr Mann klein und hatte wie er etwas puppenhaft Steifes. Zierlich, mit einem hübschen Gesicht. Ihr weißblondes Haar trug sie in einem punkigen Kurzhaarschnitt. In ihrer Jugend musste sie eine Schönheit gewesen sein, sie hatte immer noch das Lebhafte und Theatralische von Frauen, die um ihr gutes Aussehen wissen. Doch hatte ihre Schönheit gelitten, ihr Gesicht war hager, und ihre Augen traten leicht hervor – wer weiß, ob Alter, Stress oder Trauer der Grund waren. Bevor das alles geschah, hatte ich sie über die Jahre mehrere Male getroffen, aber sie hatte mich kein einziges Mal erkannt.
Die beiden starrten uns an. Dan stand praktisch reglos da. Nur die Schlüssel, die in einem Bund von seinem Zeigefinger baumelten, bewegten sich. Sein Gesichtsausdruck war fast neutral und zeigte kaum etwas von seiner Überraschung oder Fassungslosigkeit, oder was immer er gerade empfand.
Bei Joan war das anders. Sie blitzte uns wütend an, unsere Gegenwart war wie eine Ohrfeige. Niemand sprach ein Wort. Wir waren zahlenmäßig überlegen, drei gegen zwei. Ein Sohn stand hier, während der andere unter der Erde lag. Dass Jacob immer noch am Leben war, müssen die beiden als ungeheuerlich empfunden haben.
Es war alles so schmerzlich eindeutig, dass wir fünf wie vom Blitz getroffen dastanden und uns anstarrten, während um uns herum das Treiben der Kunden weiterging.
»Warum gehst du nicht schon mal zum Auto vor«, sagte ich zu Jacob.
»Okay.«
Er machte sich davon.
Die Rifkins starrten uns immer noch an.
Ich hatte sofort beschlossen, nichts zu sagen, es sei denn, sie würden uns ansprechen. Es gab kaum etwas, das aus meinem Mund nicht wie eine Taktlosigkeit, Beleidigung oder Provokation geklungen hätte.
Doch Laurie wollte etwas sagen. Ihr Wunsch, auf die beiden zuzugehen, war deutlich zu spüren, und sie hielt sich nur mühsam zurück. Für mich hat das Vertrauen meiner Frau in Kommunikation und Aufeinanderzugehen etwas Naiv-Rührendes. Für sie gibt es so gut wie nichts,
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