Verschwiegene Schuld
der Artikel unterzeichnet worden war, in Berlin und andernorts. Die Wirkung des Artikels XIII war nicht einmal »ein gewisses Minimum an Almosen«.
Beredten Protest legte Robert Murphy im Oktober 1945, Monate nach Potsdam, in einem Memorandum an das State Department ein:
»Allein auf dem Lehrter Bahnhof in Berlin haben unsere Sanitätsdienststellen täglich im Durchschnitt zehn Menschen gezählt, die an Erschöpfung, Unterernährung und Krankheit gestorben sind. Sieht man das Elend und die Verzweiflung dieser Unglücklichen, spürt man den Gestank des Schmutzes, der sie umgibt, stellt sich sofort die Erinnerung an Dachau und Buchenwald ein. Hier ist Strafe im Übermaß, aber nicht für die Parteibonzen, sondern für Frauen und Kinder, die Armen, die Kranken …« 2
Artikel XIII änderte überhaupt nichts, außer den Verlauf der Geschichte.
Die Geschichte ruht nicht. Im heutigen Nordamerika erheben die einstmals besiegten einheimischen Völker – einige ihrer Stämme ausgerottet, ihr Land gestohlen – mit Gerichtsbeschlüssen, Blockaden, einstweiligen Verfügungen, Vormerkungen zur Sicherung von Grundstücksrechten und auch mit Maschinengewehren. Protest gegen Raub und Militärjustiz von einst. In Palästina führten Zionisten mit dem Segen der UNO Diaspora-Juden aus aller Welt zur Gründung des Staates Israel zusammen. Am 26. August 1994 verabschiedete der UN-Unterausschuß für Menschenrechte die Resolution Nr. 1994/24, in der »das Recht von Flüchtlingen und Vertriebenen, in Sicherheit und Würde in ihr Ursprungsland und/oder innerhalb des Landes an ihren Herkunftsort oder sonst einen Ort ihrer Wahl zurückzukehren«, bekräftigt wird. Zwar ist in der Resolution nicht ausdrücklich von den enteigneten Deutschen die Rede, doch sie gilt ganz klar auch für sie.
Da die Vertreibungen nach internationalem Recht von Anfang an unrechtmäßig waren und außerdem gegen die von den erobernden Mächten selbst aufgestellten Bedingungen verstießen, sprechen gewiß viele Gründe für einen Rechtsanspruch der Flüchtlinge und ihrer Nachkommen auf Rückkehr in die ehemalige Heimat. In Absprache mit den Alliierten und als Teil einer endgültigen Regelung zur Abschaffung des Besatzungsstatuts erkannte die Bundesregierung im Jahr 1990 die Oder-Neiße-Linie als endgültige Ostgrenze Deutschlands an. Mit den Worten Alfred de Zayas'
»gab [die deutsche Regierung] dem internationalen Druck nach und verzichtete auf ihre rechtmäßigen Ansprüche auf das jahrhundertealte Heimatland. Es waren dies Ansprüche, die nach dem Krieg jahrzehntelang sowohl innerhalb Deutschlands als auch gegenüber der restlichen Welt erhoben worden waren. Doch war dies die Stimme einer älteren Generation von Deutschen gewesen, von früheren Regierungen, die sich den Vertriebenen und Enteigneten gegenüber noch moralisch verpflichtet fühlten. Vierzig Jahre der Umerziehung ließen eine neue Perspektive entstehen. Verzicht war nun gefragt. Heute ignoriert der Westen entweder die verbürgten historischen Tatsachen, oder er akzeptiert die von polnischen und deutschen Apologeten vorgebrachten Euphemismen über die Vertreibung .« 3
Sogar das Abkommen von 1990 könnte man als illegal oder unbefugt bezeichnen, da aus zahlreichen UN-Resolutionen hervorgeht, daß ein Verbrechen oder eine Aufhebung von Rechten nicht dadurch legal werden, daß sie von einer Regierung zum Nachteil der eigenen Bürger gebilligt bzw. verfügt werden. Solche Argumente könnte man vielleicht als »legalistisch« abtun, aber auch die Schaffung des Staates Israel und die Ansprüche der Indianer auf ihr angestammtes Land waren anfangs mehr »de jure« als »de facto«.
Daß die Entscheidung der Bundesregierung, auf alle Herrschaftsansprüche in den ehemaligen Ostgebieten zu verzichten, für ihre Weisheit und Zurückhaltung spricht, ist offensichtlich. Sie war aber auch angesichts der politischen Lage zu Beginn der 90er Jahre unvermeidlich. Sie war notwendig, um einen Konflikt über Herrschaftsansprüche zu vermeiden, obwohl noch über eine Million der damals illegal enteigneten Flüchtlinge und Vertriebenen am Leben sind. Als im Jahr 1947 der Staat Israel gegründet wurde, waren sämtliche ursprünglichen Bewohner des Landes seit fast zweitausend Jahren tot. In Nordamerika ist kein einziger von jenen Irokesen, Chiapas, Sioux, Cree oder Inuit mehr am Leben, die einst die geschlagenen und betrogenen Ureinwohner waren. Ist es dann legal, ist es gerecht, daß die
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