Verschwörung beim Heurigen
ermordete
Tante rechtfertigten in gewisser Weise Carls niederträchtiges Verhalten. Wenn sie sagen würde, was sie wirklich tat, würde
dieses Mädchen sie verachten. War es nicht belanglos, mit welchen Augen dieses junge Ding sie sah? Sie, Johanna, lebte auf
einer ganz anderen Ebene. Was gingen sie diese Scheißwinzer an, was hatte sie mit dem verfluchten Mord zu tun? Was verband
sie eigentlich noch mit ihrem Mann? Nichts, nichts, gar nichts ...
»Warum sagen Sie nichts?«
Die großen Augen und die Arglosigkeit der Frage vergrößerten Johannas Dilemma, sie staunte, dass es solche Menschen überhaupt
noch gab; in ihrer Welt jedenfalls nicht, da bastelte sich sogar der Bürobote seine Erfolgsstrategie. Johanna wurde heiß,
Anneliese sah sie an, und die Frage schwebte wie ein Stein über ihr.
»Ich berate Firmen beim Umweltschutz.« Puh, geschafft, Johanna atmete auf, die Formulierung war nichtssagend genug, damit
sie fürs Erste von weiteren Fragen verschont blieb.
»Super, das finde ich klasse von Ihnen.« Anneliese strahlte sie an. »Maria hat sich auch für Umweltschutz eingesetzt. Sie
müssen sich ziemlich ähnlich sein, Sie hätten sich mit ihr bestimmt gut verstanden, und auch mit ihren Freundinnen, den Sieben.
Kennen Sie die?«
Tretminen, Fettnäpfchen, Fußangeln und Selbstschussanlagen, wohin sie blickte. Johannas Bewegungsspielraum wurde enger. Wie
kann jemand nur alles, was ich sage, so völlig anders interpretieren? Es tat sogar weh, wie dieses Mädchen ihren Panzer anbohrte,
und das gleich an mehreren Stellen. Entweder musste sie einen radikalen Themenwechsel vornehmen oder gehen. Sie entschied
sich für Ersteres.
|312| »Was ist am Wein so besonderes, dass sich so viele Leute damit beschäftigen?«
»Das erklärt Ihnen besser mein Großvater«, Anneliese schielte zur Besuchergruppe, aber dort redete man sich die Köpfe über
Lieferbedingungen heiß. Seit Richard dazugekommen war, hatte sich die Atmosphäre verschlechtert.
»Dann müssen Sie mit mir vorliebnehmen«, sagte Anneliese und zog sich auf Zehenspitzen zurück. »Das Besondere am Wein? Dass
er so alt ist, nach Wasser und vielleicht Milch das älteste Getränk. Die Georgier und die Ägypter streiten, wer von ihnen
zuerst Wein angebaut hat. Dann die vielen Geschichten, die man darüber erzählen kann. Und dass es ewig dauert, bis ein guter
Wein reif ist. Vielleicht ist es auch das Ungewisse, die Abhängigkeit vom Wetter, was den Wein besonders macht, dass man ein
Jahr arbeitet, bis man ernten kann. Ach, die Vielfalt habe ich vergessen und internationale Kontakte. Wir probieren am besten
alle durch, dann merken Sie es, in der Nase, auf der Zunge, am Gaumen ... «
Anneliese holte drei gekühlte Flaschen Weißwein und stellte die Gläser auf die Kisten, sie rannte in die Küche und kam mit
Brot und Käse zurück, » ... damit wir nicht so betrunken werden«, kicherte sie vertraulich, und Johanna gab ihren Widerstand auf, ängstlich zuerst,
als könne sie sich verbrennen oder einbrechen, überrascht von ihrem Entschluss, aber doch endlos erleichtert.
|313| 15
Ob er zufällig darauf gestoßen war oder zwangsläufig darauf kommen musste, wusste er später nicht mehr zu sagen. War letzten
Endes nicht allein das Ergebnis entscheidend? Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte er entdeckt, wie Politiker in Verbindung
mit der Bauindustrie den Bürger, Steuerzahler oder Wähler vorsätzlich, systematisch und wissentlich betrogen – oder den Betrug
zuließen. Carl fragte sich, ob er den Beteiligten nicht mit zu viel Misstrauen begegnete, aber bei Millionenbeträgen, von
der Allgemeinheit aufgebracht, war nicht Ruhe, sondern Misstrauen erste Bürgerpflicht.
Von wem dieser Betrug ausging, von Beamten, von entscheidungs- oder weisungsbefugten Politikern oder von einzelnen Unternehmern
und deren Beratern, er hatte da den Anwalt der Bürgerinitiative plastisch vor Augen, war schwer zu sagen – und würde noch
schwerer zu beweisen sein. Die sprichwörtliche Weisheit, dass eine Krähe der anderen kein Auge aushackt, galt wohl auch hier:
Niemals würde jemand den Mund aufmachen.
Die Art des Vorgehens hätte er ohne weiteres Johanna zugetraut, es gehörte sicherlich zu ihrem Repertoire der Vernebelung,
der Ablenkungsmanöver und Irreführung. Man brauchte dazu eine gehörige Portion Skrupellosigkeit, um nicht zu sagen kriminelle
Energie und Menschenverachtung, und dass sie darüber
Weitere Kostenlose Bücher