Verschwörung beim Heurigen
im Verkostungsraum warten. Johanna entschied sich für Letzteres, folgte dem Winzer, setzte sich an einen großen Tisch und
bekam von seiner Enkelin mit einem Lächeln ein Glas Wein vorgesetzt. Erst jetzt fiel ihr der Trauerflor an seinem Revers auf.
»Hatten Sie einen Todesfall?«, fragte Johanna mit gespielter Anteilnahme.
»Ja, ziemlich schrecklich.« Das Mädchen setzt sich unbefangen zu ihr. »Meine Tante hatte einen Unfall ... «
»Keine Ausflüchte, Anneliese, es steht in allen Zeitungen, Sag ruhig, wie es war!« Ernst und hoch aufgerichtet, sich am Türrahmen
festhaltend, stand der Winzer, blass und gefasst. »Meine Tochter Maria wurde erschlagen.«
|307| Die Worte kamen langsam, abgehackt, aber mit einer solchen Wucht, dass Johanna verstand, weshalb sich der Winzer festhielt.
Was bis vor einer Minute eine Sache zwischen ihr und Carl gewesen war, nichts weiter als ein »Fall«, eine der tagtäglichen
Geschichten aus der Presse, gewann eine Form und wurde lebendig. Mit einem Mal gehörten Gesichter dazu, Trauer und Verzweiflung
in den grauen Augen des Mannes, die fast wegschwammen und die des Mädchens suchten, als könnten sie darin Halt finden. Johanna
spürte, wie sich diese Gefühle auf sie übertrugen, als bestünde zwischen ihr und diesen Menschen eine Verbindung.
O Gott, dachte sie, nicht schwach werden, keine Sentimentalitäten, das ist nicht meine Sache, und doch ließ sie die Beklemmung
heftig atmen. Wo war sie hineingeraten?
Dann sprach Bruno Sandhofer zu Johannas Schrecken von Carl. Es war fürchterlich, sie hatte nicht geahnt, wie nah sie dem Geschehen
die ganze Zeit über gewesen war, denn er sprach von Carl mit Wärme, mit einem seltenen Gefühl von Wärme in der Stimme, » ... und dabei kennen wir uns kaum«, sagte er leise. »Er ist der Einzige außerhalb der Familie und den Sieben, ihren Freundinnen,
der sich wirklich für Maria interessierte, auch jetzt noch, wo sie ... nicht mehr da ist. Ich bin sicher, er wird den Mörder finden, ich weiß das. Er will es. Und er wird sich nicht aufhalten
lassen. Er ist ein stiller Mensch, einer, der nicht auffallen muss, aber der zu dem steht, was er tut, wie Maria. Die beiden
hätten gut zusammengepasst.«
Der Kloß in Johannas Hals wurde dicker, die Brust schmerzte. Aus gekränkter Eitelkeit wurde Angst, aus Eifersucht Schmerz,
die Ablehnung verwandelte sich in Anteilnahme ... ihr Stolz bröckelte und wurde zu einer Sehnsucht nach etwas, das sie längst verloren hatte. Sie verbiss es sich mit aller
Kraft, sie knirschte mit den Zähnen.
»Was ist mit Ihnen?«, fragte das Mädchen besorgt und legte ihr mitfühlend die warme Hand auf den Arm. »Haben Sie auch jemanden
verloren?«
|308| Das war zu viel, es reichte, Johanna meinte zu ersticken und stemmte sich hoch. »Wo bitte sind die Toiletten?«
Die Ankunft der Schweizer Weinhändler verhinderte, dass ihr der Kopf platzte. Aber wieso ging sie nicht, wieso griff sie nicht
zum Surfbrett? Was berührten diese Sandhofers in ihr? War diese Maria genauso gewesen? War es das, was Carl an der Frau derart
fasziniert hatte, dass er dafür bereit war, seine Ehe zu opfern? Aber hatte sie ihn nicht längst geopfert – und sich selbst?
Jemanden wie mich opfert man nicht, niemals! Der Gedanke ergrimmte sie, holte sie in die Wirklichkeit zurück. Der Schwächeanfall
war vorüber, der Kopf wieder frei. Sie konnte sich der Kellerei widmen.
Sie begannen den Rundgang in jener Halle, in der Maria Sandhofer umgekommen sein musste. Aber niemand verlor ein Wort darüber.
Im Barrique-Keller lauschte sie interessiert den Ausführungen des Winzers, das Mädchen neben ihr übersetzte flüsternd die
den Händlern bekannten Fachbegriffe. Wo die großen Holzfässer standen, die Fuder mit ins Holz eingearbeiteten Verzierungen,
sprach man über die Methode des Assemblierens, die Mischung einzelner Rebsorten, und zum ersten Mal hörte Johanna richtig
hin. War es ihr wachsendes Interesse, war es die Ausstrahlung dieses Mädchens, das sie ohne Argwohn anlächelte und ihr so
offene Antworten auf jede Frage gab, was Johanna schmerzlich an sich selbst erinnerte? Auch der Großvater hatte diese Art,
während ein geschäftig tuender Verwalter deutlich machte, dass er sich wohl von den Schweizern, nicht aber von der Besucherin,
nützliche Verbindungen versprach.
»Sie verstehen nicht so viel von Wein, nein?«, fragte Anneliese mit entwaffnendem Lächeln.
Hilflos
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