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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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Thomas Thurn. Erst gestern ist er in der Kellerei aufgekreuzt.« Carl schaute über die reglos verharrende
     Menge hinweg. »Kennen Sie einen Anwalt namens Wollknecht, Günther?«
    Inspektor Fechter lächelte nachsichtig und bedeutete Carl, näher zu kommen. »Machen Sie nicht so viel Wind, oder nutzen Sie
     ihn zum Surfen, besuchen Sie Ihre Winzerinnen, aber lassen Sie alles andere; mancher zertritt bei der Suche mehr Spuren, als
     er findet. Überlassen Sie das Suchen denen, die dafür ausgebildet wurden.«
    »Ihm?« Carl sah in Richtung Herrndorff. »Ich wurde hervorragend ausgebildet, Herr Inspektor, fünfzehn Jahre lang, ich hatte
     die beste Lehrerin, die man sich vorstellen kann.«
    Der Inspektor begriff Carls Anspielung nicht, und der verzog sich, denn Herrndorff rückte näher.
    Die Stadtkapelle spielte, der Chor stellte sich auf und sang mit der Trauergemeinde.
»   ... die Toten werden erweckt werden
... und wir werden verwandelt werden   ... «
    Niemand wird uns wecken, dachte Carl, wir werden dahin verschwinden, wo wir hergekommen sind, es gibt uns nur für einen unvorstellbar
     kurzen Augenblick. Wir dürfen die Augen öffnen und schauen, was auf dem Planeten los ist, und machen uns dummerweise diese
     Zeit gegenseitig zur Hölle. Er musste an den Ehekrieg mit Johanna denken und an das, was zwischen ihm und Maria hätte sein
     können. Diese Fantasien verloren sich im Abstrakten, Carls Unterbewusstsein hatte es längst begriffen, das Bewusstsein nicht,
     wie immer.
    »   ... der Herr sei mit Euch   ... «–»   ... und mit deinem
Geiste«,
antwortete die Gemeinde.
    Einige hundert Personen waren hier, und Carl fragte sich, wie sie zueinanderstanden, was sie von den anderen wussten. Es gab
     Freundschaften, Feindschaften, jahrzehntelangen Auseinandersetzungen über den Gartenzaun hinweg, Rivalitäten aus der Schulzeit,
     die von den Eltern angestachelt und |322| über Generationen weitergetragen wurden. Ob ihm jemand seine Gedanken ansah? Er meinte Gesichter zu sehen, die er von der
     Verkostung im Schloss her kannte. Klar, dass Winzerkollegen kamen. Wer profitierte von Marias Tod? Vielleicht war Sandhofers
     Kellerei längst aufgeteilt, und Richard war ein Strohmann? Links war ein frisches Grab, die Blumen darauf waren nicht einmal
     verblüht, schon kam der Nächste unter die Erde.
    »   ... die Gerechten   ... «
    Wer bitte? Gab es überhaupt einen? Einen einzigen? Ich bin es nicht, dachte Carl und grübelte über seinem Fast-Verrat an Johanna.
     Marias Tod hatte ihn davor bewahrt. Wieso hatte er Johanna nicht klar gesagt, dass er wollte, dass ihre Wege sich trennten?
    »   ... wie auch wir vergeben unseren Schuldigern   ... «
    Wer vergab dem anderen wirklich? Konnte man das? Es war vermessen, jemandem zu vergeben, man stellte sich damit über ihn –
     oder nicht?
    »   ... der Herr führe uns nicht in Versuchung   ... «
    Unsinn, der Herr verführte nicht, Menschen taten das, ließen sich von den eigenen Wünschen verführen, wenn es denn eigene
     waren. Wäre es nicht sinnvoller, darum zu bitten, der Versuchung widerstehen zu können oder sie zu erkennen? Verfluchte Moral,
     der ganze abendländische Scheißdreck von Schuld. Konnten Gedanken verletzen? Konnte man etwas denken und anderen damit Schaden
     zufügen? War der einmal gedachte Gedanke nicht mehr zurückzunehmen und forderte seine Umsetzung?
    Jetzt lachten die Männer rechts von ihm. Carl hörte Vogelgezwitscher, er empfand die Nachmittagssonne im Gesicht als angenehm.
     Die Trauergemeinde formierte sich, der Zug rückte unter Glockengeläut vor, ein Messdiener voran, das Kruzifix mit Trauerflor
     umwickelt. So möchte ich nicht bestattet werden, dachte Carl, ich möchte keinen Gekreuzigten vorweg getragen wissen, auch
     wenn sie mich demnächst |323| kreuzigen werden. Vor dem Sarg vier kleine Mädchen, die Engelchen, schauderhaft für die Kinder, den Tod im Nacken – und er
     erinnerte sich an die Beerdigung seiner Eltern, sie waren im selben Augenblick gestorben. Keiner hatte auf den anderen warten
     müssen.
    Die Sonne ging noch lange nicht unter. Die Kapelle spielte wieder, zu viel Blasmusik, der Zug kroch außen um den Friedhof
     herum und kam durch den Mittelgang wieder herein, die Trauergemeinde verteilte sich zwischen den Gräbern, das nächste Vaterunser.
    Fast als Letzter warf Carl eine Hand voll Erde und eine rote Rose ins Grab. Unendlich erleichtert und befreit wandte er sich
     ab. Ihm war, als hätte er mit der

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