Verschwörung beim Heurigen
Thomas Thurn gewesen. Der Moment, in dem er durch die Tür
der Kellerei verschwunden war, hatte sich auf immer und ewig in seiner Netzhaut eingebrannt. Jetzt erinnerte er sich sogar
an die Kleidung des Nobelwinzers: Jeans, ein hellgraues, in sich gemustertes Sakko, Pfeffer und Salz, aufgenähte Lederecken
an den Ellenbogen. Wenn er Ellens Telefonat mitgehört hatte! Thurn war zu allem fähig, das hatte er auf grauenvolle Art bewiesen.
Steckte er hinter der Attacke mit dem Motorboot? Wohl kaum, denn Thurn wusste nichts von ihm, außer Herrndorff hätte geplaudert.
Wahrscheinlich hatte er dem Anwalt die internen Informationen über Johanna |373| zugespielt. Von wegen »zuspielen«– der drückte sie ihm einfach in die Hand. Es waren halt Freunderl. Hatte es nicht geradezu etwas zutiefst Menschliches, Sympathisches,
der kalten, gnadenlosen Marktwirtschaft eine warmherzige Freunderl-Wirtschaft entgegenzusetzen? Und willst du nicht mein Freunderl
sein, dann schlag ich dir den Schädel ein! Die Verschwörer vom Heurigen wussten alles, Herrndorff gehörte dazu.
Wenn sie so viel wussten, wenn sie Johannas Vergangenheit kannten und sogar ihren Arbeitgeber informiert hatten, dann wussten
sie auch, dass Hermine ihm ihr Büro zur Verfügung gestellt hatte. Herrndorff konnte bei Mordverdacht jede Telefonüberwachung
rechtfertigen. Aber der Untersuchungsrichter war kein Idiot, und Fechter auch nicht. Wenn dessen Kollege sich nicht das Bein
gebrochen hätte, wäre vermutlich alles anders gelaufen. Wenn ...
Carls Gedanken überschlugen sich: Was war mit Ellen? Es wäre entsetzlich, wenn jetzt die nächste der Sieben in die Sache hineingezogen
werden würde. Sie wusste von Thurns Schulden, und damit geriet sie in die Schusslinie. Ob die Freunderl auch davon wussten?
Die hatten nichts mit dem Mord an Maria zu tun, die hatten andere Methoden. Den Autobahn-Freunderln hatte er, Carl, die Organisation
durcheinandergebracht. Ihnen lief die Sache jetzt aus dem Ruder, wenn bekannt würde, dass der Ehemann der Landeshauptfrau
mit im Geschäft war ... oder überschätzte er seine Ermittlungen maßlos? Carl sah seine Hände zittern, er hatte es im Schilf bemerkt, nachts, als
das Wasser ihm bis zum Hals stand, die Füße im Morast, als er Angst vor dem Einschlafen hatte, dem Ertrinken und noch viel
mehr vor diesen Schlangen, von denen er nicht eine zu Gesicht bekommen hatte ...
Er probierte es mit zittrigen Fingern unter Ellens Festnetznummer, ihr Onkel meldete sich. »Sie ist nach Neusiedl, zur Bank.«
|374| Carl sagte nichts von ihrem Anruf, um ihn nicht nervös zu machen. Johanna! Johanna konnte er anrufen. Mit ihr hatte er nicht
mehr gerechnet, sie war fast aus seinem Kopf verschwunden, nicht einmal mehr als Möglichkeit vorhanden gewesen. Seit gestern
jedoch, so schien es ihm, war sie wieder greifbar. Allerdings hatte er kaum gewagt, sie darum zu bitten, ihm frische Kleidung
zu bringen und bei Fritz das Rennrad, die Klamotten und seine Brieftasche zu holen. O Schande, er musste Fritz das Surfbrett
und das Segel ersetzen.
»Du hast Glück, dass du mich erwischst«, sagte Johanna zu Carls Überraschung am Telefon. »Ich wollte noch ein wenig raus,
den See genießen, bevor ich die Zelte abbreche. Aber ich komme. Nur musst du dich etwas gedulden, ich muss mich umziehen.
Wohin fahren wir? Von wo aus hat die Winzerin angerufen?«
»Neusiedl, am nördlichsten Zipfel vom See. Wir könnten es in einer halben Stunde schaffen.«
»Die wollen dich wirklich entlassen? Carl! Nicht einfach abhauen ... «
»Keine Sorge, der Arzt ist einverstanden.«
»Wirklich? Bei dir muss man neuerdings vorsichtig sein, dich kennt man ja gar nicht mehr.«
»Bring mir bitte Handschuhe mit, Surferhandschuhe, die größten, die es gibt. Dein ... der Hansi hat so was bestimmt«– neben all den anderen Dingen, die er sonst noch zu bieten hat, dachte Carl, aber er verbiss sich die bösen Worte, obwohl er
sich gefreut hätte, wenn Hansi ein Mast auf den Kopf gefallen wäre.
Carl bewegte sich im Schneckentempo, jede Bewegung tat weh. Er räumte sein Krankenzimmer, sah im Bad nach, ob was liegen geblieben
war, und überlegte, wie er Fechter, Alois dazu bringen konnte, Thomas Thurn weiter auf die Finger zu klopfen – nein, ihn in
die Mangel zu nehmen, am besten |375| seine Finger in die Mangel zu stecken, damit ... Die Stationsschwester gab ihm Gummihandschuhe, um seine Verbände zu
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