Verschwörung beim Heurigen
einfach gestrickt. Meistens sagte er klar
heraus, was er dachte, und gab auch zu, wenn er etwas nicht wusste, was sie allerdings für einen Fehler hielt. Früher hatte
es ihr gefallen, aber das war lange her. Unter Freunden durfte man es sich erlauben, aber wo gab es die noch? Alle anderen
nutzten das gnadenlos aus, eine Gelegenheit bot sich immer, das war in ihrer Firma nicht anders. Wie oft hatte sie ihm geraten,
sein Herz nicht auf der Zunge zu tragen! Wenn er mit der Blonden doch was hatte ...? Was bekam sie eigentlich noch von ihm mit? Was nahm er denn überhaupt noch von ihr wahr?
Sie hatte viel zu viel um die Ohren, das Unternehmen nahm sie total gefangen. Sich durchzusetzen und aufzusteigen erforderte
weit mehr als Aufmerksamkeit und Kraft. Die Leitungsebene war das Ziel, und das verlangte von ihr als Frau fast den doppelten
Einsatz. Also blieb für Carls Problemchen und die damit verbundenen Fragen keine Zeit: Ob man anderen das Werk eines Ausländers
überhaupt verständlich machen könne, ob das, was man sagte oder schrieb, in der gewünschten Weise beim Leser ankomme oder
wie Phänomene eines Landes, die es im anderen nicht gab, zu übersetzen waren. War eine Übersetzung die Re-Produktion eines
Artefakts, war eine Übersetzung die Interpretation eines Werkes statt ihrer Spiegelung in einer anderen Sprache? Seine Probleme
hätte sie haben mögen. Sie lachte vor sich hin. Kaum zu glauben, mit was für Honoraren er sich zufrieden gab oder abgespeist
wurde. Seit Jahren machte er das. Wenn sie nicht wäre, müsste er seinen Lebensstandard |74| drastisch einschränken; dann säße er heute noch wie zu Studentenzeiten in irgendeiner billigen Bude und wäre froh, wenn ihm
ein Bekannter mal das Ferienhaus im Schwarzwald zur Verfügung stellte. Und hier gab er den Weinfachmann!
Dabei könnte er richtig Geld verdienen, nur müsste er dazu wieder als Simultandolmetscher und für die Industrie arbeiten.
Aber dazu war er sich zu fein. Nur weil es mich gibt, ärgerte sich Johanna, kann er sich die Literatur leisten, sogar die
Verlage profitieren von mir. Sechzehn Euro für die Seite Taschenbuch, ein Witz. Aber das musste er allein klären, jeder musste
sehen, wo er blieb. Zumindest waren seine sonstigen Aktivitäten billig, sein Rennrad hatte er selbst bezahlt, und die Weine
bekam er geschenkt oder zum Einkaufspreis. Seine kleinen Ausflüge in die Weinwelt kosteten sie so gut wie gar nichts. Für
Auslagen kam sowieso dieser Weinhändler in Stuttgart auf. Übersetzerkongresse waren selten, da wohnte er dann bei Freunden,
und Reisen zu Autoren zahlten die Verlage. Wenn sie das Apartment in Purbach nicht bezahlen würde, hätte er zu Hause bleiben
müssen. Na ja, es war der erste gemeinsame Urlaub, seit sie bei Environment angefangen hatte.
Momentan stand Karriere ganzoben auf ihrer Agenda, darauf hatte sie sich zu konzentrieren. Die nächsten Schritte wollten mit
äußerster Umsicht geplant sein; sie sah Wenders vor sich, den Vorsitzenden, nicht älter als Carl, aber um Lichtjahre voraus,
verschlagen, abgebrüht, ein Taktierer, wie er in den Konferenzraum trat, seine Unterlagen vor sich auf den langen lackierten
Tisch legte. »Ihr seid die Firma, ihr seid Environment Consult & Partners. Nicht ich. Wenn ihr euch als meine Angestellten
betrachtet, habt ihr längst verloren, dann haben alle verloren, auch du, Johanna ... « Wenders wurde immer größer.
»Hey, bist du eingeschlafen?«
Johanna schreckte auf und brauchte einen Moment, bis |75| sie in die Wirklichkeit zurückfand. Wohlig stöhnend sackte sie zurück ins Polster und gähnte, Wenders war nur ein Albtraum
gewesen. Sie nahm einen Schluck von dem Gespritzten, verzog angeekelt das Gesicht und spuckte aus. »Warm!«
Hansi schüttete den Rest aus ihrem Glas in die Büsche und schenkte neu ein. Sie trank alles in einem Zug.
»Schlecht geträumt?«
»Ich habe seit langem kaum ein Wochenende mehr gehabt. Unheimlich viel zu tun. Dagegen ist dein Job der reine Urlaub. Weißt
du, Hansi«, der verniedlichte Name kam ihr schwer über die Lippen, »am schönsten ist es auf dem Wasser. Ich vergesse alles,
da ist die Welt in Ordnung, da nervt niemand, keiner will was von mir. Je härter der Wind, desto besser kann ich mich entspannen
– und erholen.«
»Unterschätze den See nicht. Wenn Sturm aufkommt, du weit vom Ufer bist und der Mast rutscht aus dem Fuß, einen Kilometer
vom Ufer. Oder als Profi, wenn man
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