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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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setzten nervös zum Überholen an, scherten aus und brachen das Manöver wegen
     des Gegenverkehrs ab. Dann wieder Lastwagen: Polen, Tschechen, Ungarn   ... Auf der nur zweispurigen B 50, die am Westufer des Sees Eisenstadt mit Neusiedl verband, war das Überholen lebensgefährlich.
     Carl war heilfroh, dass die Bundesstraße von asphaltierten Wirtschaftswegen flankiert war und er sich aus dem Verkehr heraushalten
     konnte. Seit der Öffnung des Eisernen Vorhangs diente diese Strecke als Verbindung zwischen den Autobahnen 3 und 4, ein Transitweg
     aus dem Osten in den Mittelmeerraum und umgekehrt. Das war er eintausend Jahre vor der christlichen Zeitrechnung bereits gewesen,
     damals als »Bernsteinstraße« die wichtigste Verbindung zwischen Ost und West. Und noch bevor die Römer die ungarische Tiefebene
     ihrem Imperium als Provinz Pannonien einverleibten, war hier Wein angebaut worden.
    Kaum etwas anderes wuchs rechts und links der Straße, auf der Carl nach Breitenbrunn unterwegs war, um sich noch einmal in
     der Halle umzusehen, in der Maria umgekommen war. Er musste wissen, was die Polizei dachte. Wieso hatte Johanna sich sofort
     deren Auffassung zu eigen gemacht, wonach er der Hauptverdächtige sei? Ein anderer hatte Maria |91| als Letzter lebend gesehen – nur wer? Oder hatte sich derjenige gemeldet, der durch die Tür verschwunden war?
    Wie immer auf glatter Strecke wollte Carl freihändig fahren, richtete sich auf und genoss den Fahrtwind, aber er schlingerte
     und griff schnell wieder nach dem Lenker. Alles war aus dem Gleichgewicht, auch er selbst. Doch der Anblick der Weingärten,
     die vom See her in einer weiten, geschwungenen Linie zum Leithagebirge anstiegen, ihre Farbe und die weite, weiche Landschaft
     beruhigten seine Sinne. Was ihm besonders zusetzte war, dass Marias Tod die alten Bilder wieder heraufbeschworen hatte, Bilder
     vom Tag, als seine Eltern verunglückt waren. Das lag ein halbes Leben zurück und war so präsent wie das, was er gestern gesehen
     hatte. So würde es bleiben. Und die Bilder von Maria kämen dazu. Wie sollte er das verkraften? Er brauchte Ruhe. Sein Magen
     revoltierte, bis auf Toast und Tee hatte er am Morgen nichts zu sich nehmen können. Geräuschlos, nur den Fahrtwind in den
     Ohren, rollte er vor sich hin. Auf Radlerhose, Trikot und Rennschuhe hatte er verzichtet. Bei seinem heutigen Vorhaben erschien
     er besser in Zivil; nur der Helm war wichtig. Er trug ihn seit dem Sturz an dem Tag, nachdem er Maria kennen gelernt hatte.
     Er hatte an sie gedacht und den Gully übersehen.
    Ein kräftiger Seitenwind kam den Hang herunter. Der Wind roch warm, nach Erde, nach Holz und Wald, er wehte den Dieselgestank
     der Lastwagen von ihm weg, über die Weingärten hinunter bis zum See. Gehörte eines der winzigen Segel dort vielleicht Johanna?
     Ein Bauer auf seinem Traktor grüßte, entgegenkommende Radler lächelten, Spaziergänger winkten, und ein Hund lief bellend neben
     ihm her. Eigentlich ein wunderschöner Tag   ... doch die grausamen Erinnerungen an Maria und den Streit mit Johanna machten das alles zunichte.
    Was war in sie gefahren? Weshalb hatte sie ihn angegriffen, so scharf und so – Carl grübelte, welches Wort es am besten |92| träfe. Es kam ihm merkwürdigerweise auf Portugiesisch in den Sinn,
sem cleméncia
– gnadenlos. Oder war
irreconcilable
auf Englisch besser, unversöhnlich? Wieso tauchten die Worte seiner beiden anderen Sprachen vor dem deutschen Wort auf? Stahl
     er sich neuerdings nicht nur vor sich selbst, sondern auch vor seiner Sprache davon? Oder war der Umstand zu erschreckend,
     dass Hanna und er gestern zu weit gegangen waren, viel zu weit, um zurückkehren zu können?
    Unversöhnlich – unumkehrbar wie der Sprung in einem Glas, nie mehr zu kitten; am Klang ließ sich erkennen, ob ein Gefäß einen
     Sprung hatte, am Geruch stellte man den Verfall fest. Er hatte Johanna nicht gerochen, hatte die Nase in das zwar frische
     Bettzeug gesteckt, aber das muffige Sofa darunter war nach einer Weile durchgedrungen. Und geschlafen hatte er kaum, sich
     hin- und hergewälzt, eine oder zwei Mücken, ekelhaftes Viehzeug, war um seine Ohren geschwirrt, ihr Sirren hatte ihm den Schlaf
     geraubt.
    Johanna hatte den Tag mit einer Schimpfkanonade begonnen, »Sperrfeuer hingelegt«, wie sie es nannte, wenn sie diese Taktik
     bei Konferenzen anwandte. Da kam niemand ohne Verletzung durch, wenn überhaupt. Sie war zu viel mit Männern zusammen,

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