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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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eigentlich
     ausschließlich, und übernahm deren Brutalität. Brunner, er dachte an Brunner, den Meister der Intrige, Johannas früheren Kollegen,
     von dem sie entsetzlich viel gelernt hatte, ihr großes Vorbild bei Environment Consult. »Partners«, wie im Firmennamen genannt,
     waren das nicht, wenn jeder auf seinen Vorteil bedacht war, dafür glatt und hinterhältig, »   ... aus den ehemaligen Umweltschützern machen wir die besten Projektgestalter   ... «, hatte dieser Brunner gesagt, als Johanna ihn mal eingeladen hatte, und dann überheblich gelacht. Carl hatte sich daraufhin
     weitere Besuche dieser Art verbeten. Johanna verwechselte anscheinend Brutalität und Macht mit Emanzipation; Frauen beim Militär
     oder bei der Polizei waren genauso hirnrissig. Töten, um gleichberechtigt zu sein? Frauen in der |93| Politik waren nicht weniger demagogisch, wortbrüchig und heimtückisch als ihre Kollegen, bei Letzterem sicher sogar überlegen.
     Und den Quotenbonus nutzten sie schamlos.
    Wer hatte eigentlich angefangen, sie oder er? Wer hatte sich von wem entfernt? Er hatte Johanna verlassen, aber hatte sie
     ihn nicht längst verlassen? – Im Grunde hatte sie nicht ihn verlassen, sondern sich selbst aufgegeben. Schon vor langer Zeit.
     Und er hatte sich in die Wörter verbissen. Was war zuerst, oder war es müßig, der Frage nach Voraussetzung und Resultat weiter
     nachzugehen? Mit Hegel durfte er ihr nicht mehr kommen. Sie war aus ihrer Haut geschlüpft, in eine andere, oder hatte sich
     eine neue zugelegt oder sich gehäutet? Wie sollte er sie dann erkennen? Oder war das, was er jetzt sah und erlebte, war das,
     was sie lebte, ihr wahres Ich? Hatte er diese Haut oder das andere Selbst nie bemerkt? Möglich, dass er die Augen verschlossen,
     den Kopf in den Sand gesteckt hatte, aber mehr als zehn Jahre lang? Und Maria? Was hatte er gesehen, was hatte er sehen wollen?
     War sie in etwas verstrickt, wovon er nichts wusste, und war sie deshalb von der Empore gestürzt worden?
    Die Frage, wer wen verlassen hatte, war nur von Belang, wenn die Antwort Johanna und ihn wieder aufeinander zugehen lassen
     würde. Wollte er das? War er schuld am Zerwürfnis, weil er sich in Maria verliebt hatte? Aber man verliebt sich nicht willentlich
     – es passiert, es bricht über einen herein, es ist ein Sog. Die innere Bereitschaft muss vorhanden sein, sonst geht es nicht,
     wo ein Baum steht, kann kein zweiter wachsen. Das galt für die Liebe genauso. War er seinen Gefühlen hilflos ausgeliefert,
     nichts als ein Opfer? »Freier Wille, das sind fünf Prozent unserer selbst«, erinnerte er sich an eine Vorlesung, »der Rest
     ist Manipulation!«
    Es kam eine Kurve, die ihn aus den Gedanken riss, er war zu schnell, dann ging es hinauf nach Breitenbrunn, die Steigung war
     endlos, er musste in einen kleinen Gang umschalten |94| und wie wild treten, um nicht absteigen zu müssen. Er hielt an, wollte nicht schweißüberströmt in der Kellerei erscheinen,
     und schaute über das weite, offene Land hinter sich.
    Er suchte nach einer Entschuldigung für sein Verhalten. Und sofort kamen Zweifel auf: Suchte man sein ganzes Leben lang nicht
     nach Entschuldigungen für irgendwas, um sich vor der Verantwortung für sein »Gesicht«, seine Art und seine Taten zu drücken?
     Immer waren es die Umstände, die Zeiten, die Finanzen oder die Leute, die einen hinderten – er dachte daran, dass es lediglich
     Synonyme waren, sinngleiche Begriffe für die eigene Schwäche.
    Auf der Anhöhe hielt Carl wieder, vor ihm lag Breitenbrunn, seine Neubauten und die Wochenendvillen der Wiener Häuslebauer
     befanden sich zur Linken, der ursprüngliche Dorfkern mit dem klobigen Wehrturm unten rechts. Breitenbrunn war ein Kuddelmuddel
     von Baustilen, Elementen und Materialien. Es waren die Zeit, der Geschmack und die Fähigkeiten der Bewohner und Zugereisten,
     die das Dorf verändert hatten. Alles falsch. Unlogisch. Geschmack wurde gemacht, Veränderungen hingen von wirtschaftlichen
     Möglichkeiten ab. Alles wurde von Menschen bestimmt. Letztlich auch die Zeit. Man konnte sich beeilen oder sich treiben lassen,
     Carl hatte das Gefühl, überhaupt nichts mehr zu bestimmen. Zwischen allen Stühlen zu sitzen, wäre untertrieben.
    Seine Augen folgten der langen Dammstraße durchs Schilf bis ans offene Wasser. Von dort sollte es eine Fahrradfähre auf die
     andere Seeseite nach Podersdorf geben. In den nächsten Tagen würde er es ausprobieren. Er ließ sich

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