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Verschwörung beim Heurigen

Titel: Verschwörung beim Heurigen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: dtv
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roch erneut, stutzte, runzelte die Stirn, sah Carl an, roch wieder, dieses Mal länger und intensiver, schloss dabei die Augen,
     und als er sie öffnete, lachte er gehässig. »Ha, ha, also deshalb. Gutes Riechorgan, Carl. Meinen Glückwunsch! Haben wir ihn
     schließlich wieder gefunden, den Guten.«
    Beim nächsten Schluck zog der Fotograf ein Gesicht, als hätte er den Wein am liebsten in hohem Bogen in den Edelstahlbehälter
     gespuckt. »Wenn du vorher, wie du sagtest, nichts von Wein verstanden hast, dann lernst du schnell. Ich habe es auch nur durch
     Systematik begriffen. Antonia hat es |238| mir beigebracht, sie hat mich zu jeder Verkostung mitgeschleppt, alle zwei Wochen haben wir in ihrem Keller bei Fassproben
     den Reifezustand getestet, und wenn Kunden zum Verkosten kamen, war ich dabei. So habe ich die Entwicklung auf der Flasche
     mitbekommen. Die Cuvées hat Antonia mit mir zusammengestellt, das Mischungsverhältnis unserer Reben festgelegt, dabei habe
     ich es gelernt. Also ist er unser Blender.« Triumphierend hob er das Glas. »Wunderbar.«
    Das Mädchen mit der strahlenden Zukunft lachte ihn an. »Das freut mich sehr.«
    Die beiden Männer blickten sich im selben Moment um, denn Thomas Thurn drängte sich viel zu vertraulich zwischen sie.
    »Ich habe Sie leider vernachlässigt«, sagte er zu Carl und lächelte in seiner zuvorkommenden Art.
    »Daraus wird im Augenblick leider nichts«, unterbrach ihn Gatow und führte einen dringenden Termin in Jois an, den man unmöglich
     verschieben könne, unterstrich das Gesagte mit einem Blick auf die Armbanduhr und dem Griff nach dem Kamerakoffer.
    Das war falsch. Carl wollte widersprechen, er ärgerte sich im Stillen über Gatows Vorgriff, denn er war höchst neugierig auf
     den Mann. Wie sollten sie sonst erfahren, ob ihre Theorie über Wein und Winzer der Wirklichkeit entsprach, ob auch der Mann
     ein Blender war? Sein Auftreten und die Kellerei jedenfalls bestätigten die These, aber er wollte Gatow nicht in den Rücken
     fallen. »Ich bedauere, doch ich bleibe länger im Burgenland, ich komme auf jeden Fall wieder zu Ihnen, Herr Thurn, dazu ist
     alles viel zu – interessant.«
    Der Winzer suchte in seiner Brieftasche nach einer Visitenkarte. »Rufen Sie mich an, wir machen dann einen Termin, Herr   ...?
    »Breiten   ... äh, Stuttgarter«, korrigierte sich Carl rasch.
    Thomas Thurn steckte die Brieftasche weg. »Sind ausgegangen. |239| Moment bitte, bin gleich wieder da.« Damit drehte er sich um und verschwand in der Tür neben der Theke.
    Carl blickte ihm nach, sah, wie er sich durch die Tür zwängte – und wurde bleich, er erstarrte, das Kinn fiel ihm herunter,
     und um ihn herum versank der Raum. Er war auf dem Hof   ... links hinter ihm die dunkle Halle, ein Mann rannte weg   ... er verschwand durch die Tür   ... sie fiel zu   ...
    »He, was hast du?« Gatow rüttelte ihn erschrocken. »Carl! Was ist los? Hast du ein Gespenst gesehen   ... «
    »Kein Gespenst.« Carl schüttelte fassungslos den Kopf, ein wenig wie von Sinnen, und senkte die Stimme. »Nein, kein Gespenst,
     sondern einen Mörder!«
     
    Es kostete Carl unendlich viel Überwindung, sich normal zu verhalten, die Visitenkarte einzustecken, dem Winzer, der mit der
     Vorstellung seiner Weine in Hongkong angab, die Hand zu schütteln, die Hand, die Maria erschlagen hatte, und ein paar belangslose
     Floskeln auszutauschen. Dabei fühlte er Gatows ungläubigen und unsicheren Blick auf sich lasten. Der Saal war überfüllt, die
     Bustouristen hatten den Rundgang beendet, ihre Stimmen verwirrten Carl, und er glaubte, dass jeder ihm seine Gedanken ansah.
     Der Schweiß brach ihm aus, und es war eine geradezu übermenschliche Anstrengung, den Raum ruhig zu verlassen und Marias Mörder
     in seinem Rücken zu wissen.
    Es dauerte lange, bis Carl sich von dem Schrecken einigermaßen erholt hatte. Dabei stand ihm der Moment, wie er Maria gefunden
     hatte, klar vor Augen.
Saudade.
Es war das Wort, das sie noch immer verband. Eine tiefe Sehnsucht – aber unstillbar, wie er es im Fado gefühlt hatte.
Saudade,
dafür gab es keine Übersetzung. Sehnsucht war zu simpel, Verlangen zu direkt, es war beides, durch Melancholie oder Weltschmerz
     verbunden sein, ein trauriges Glücksgefühl, in dem man sich suhlen konnte und das man nicht abstellen wollte, auch wenn es
     schmerzte. Aussichtslosigkeit traf es |240| genauso wenig.
Saudade
war etwas, um sich in ihr und mit ihr zu betrinken, und

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