Verschwörung beim Heurigen
unterdrückte sie den Wunsch nach ihrem Surfbrett, ging zum Wagen zurück und redete sich
ein, dass sie es freiwillig tat, und doch fühlte sie sich gedrängt. Sie musste sich zusammenreißen, um ihren Frust nicht am
Gaspedal auszulassen, dabei wären ihr jetzt 230 Stundenkilometer mehr als lieb gewesen. Totale Konzentration, ein Rausch, wie bei sechs Windstärken.
Wieder kam sie am Römersteinbruch vorbei, dieses Mal sah sie hin. »Aida« stand auf dem Spielplan, wahrscheinlich brachten
sie als Riesengag einen Elefanten auf die Freilichtbühne. Aida für Arme, dachte sie gehässig und erinnerte sich an die Aida-Aufführung
vor den Pyramiden von Gizeh. Environment Consult hatte es bezahlt, dreitausend Dollar, sozusagen als Belohnung. Carl hatte
sich geweigert, sie zu der »Mickey-Maus-Vorstellung«, wie er es genannt hatte, zu begleiten. Aber in die Arena von Verona
wäre er mitgekommen. Wer sollte diesen Mann und seine Beweggründe verstehen?
Sie fuhr langsam durch St. Margarethen, sah links den Pranger und guckte sofort wieder weg, er war ihr unheimlich, und auf
der Landstraße gab sie richtig Gas, bis der Traktor eines blöden Bauern sie zur Vollbremsung zwang. Am liebsten hätte sie
sich in ein Gartenlokal zurückgezogen, |246| zum Nachdenken, zum Ruhe finden, aber der Anwalt hatte auf ihrem sofortigen Kommen bestanden. Dann begann die Schnellstraße,
die um Eisenstadt herumführte und die, wie Hansi gesagt hatte, durchs Leithagebirge weitergeführt werden sollte.
Mit Vernunft betrachtet brauchte man diese Autobahn gar nicht. Bei der Ankunft von Wien aus hatten sie die A3 genommen und
waren blitzschnell am See gewesen. So würden auch ihre zukünftigen Kunden in Nullkommanichts zur Surfschule hierher kommen.
Günther Wollknechts Kanzlei sollte in Eisenstadt oben auf der Hügelkuppe liegen, kurz hinter dem Esterházy-Schloss. Als Johanna
die breite Fensterfront sah, erinnerte sie sich an jenen Abend, als sie Carl abgeholt hatte, da hatte er neben dieser Winzerin
gestanden.
Was war so faszinierend an dieser Frau, dass er sie, Johanna, dafür aufs Spiel setzte? So war es, sagte sie sich. So muss
ich es leider sehen, da komme ich nicht umhin. Wer ist diese Maria Sandhofer gewesen, was hatte sie, was ich nicht ... Nein! Johanna, unproduktives Denken bringt dich nicht weiter.
Doch Fragen besaßen ihr Eigenleben. Was gab es für Gemeinsamkeiten zwischen den beiden, wenn es überhaupt welche gegeben hatte?
Johanna wusste noch immer nicht, wie gut sie sich gekannt hatten. Maria war zehn Jahre jünger gewesen – das war viel, viel
an Lebenserfahrung. Wie war ich vor zehn Jahren?, fragte sie sich und versuchte, sich zu erinnern. Noch voller Schwung, voller
Elan und Hoffnung, etwas ändern zu können, voller Glauben an die Fähigkeit des Menschen, ein Einsehen mit sich selbst, den
anderen und der Welt zu haben. Und was war davon übrig? O Gott, nein! Besser nicht daran denken.
Oder lag die Faszination, die von dieser Maria ausging, im Wein? Was war das für Zeug? Eine Droge, die betrunken machte. Ein
Getränk, mit dem man Geld verdiente! Das |247| konnte es kaum sein, was Carl daran gereizt hatte. Geld faszinierte ihn nicht. Da schon eher die soziale Komponente, die Freundschaft,
der Geschmack, Vielfalt, Anerkennung. Die Welt des Weins: Das bedeutete, man lernte fremde Menschen und Kulturen kennen. Die
Arbeit wurde geprägt von der Natur, der Landschaft, dem Wetter, dem Boden und dem Zyklus der Jahreszeiten. Vielleicht war
es das, was ihn anzog, in seiner Einsamkeit inmitten der Bücher. Wer träumte nicht vom Zurück aufs Land? Oder war es – die
Familie? War er auf der Suche nach den verlorenen Eltern, nach einer Frau, um mit ihr Kinder zu haben?
Jemand hupte hinter ihr, Johanna schrak auf, glücklicherweise bevor sie in sich auf etwas stieß, das sie an Carl liebte, nein,
verdammt, geliebt hatte. Jetzt bemerkte sie, dass sie vor der Zufahrt zum Schloss stand und die Tiefgarage versperrte. Mit
quietschenden Reifen sprang ihr Wagen nach vorn und riss sie aus den Grübeleien.
»Gnädige Frau.« Eine Verbeugung und der Handkuss.
Günther Wollknecht strahlte sie an und schaute ein wenig zu direkt an ihr herab. Also war sie doch attraktiv, auch in Jeans
und T-Shirt , mit einer saloppen Jacke darüber, und nicht nur im grauen Geschäftskostüm oder Hosenanzug. Man musste nicht unbedingt dreißig
sein. Aber etwas störte Johanna an dem Blick des Advokaten.
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