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Verschwörung in Florenz

Verschwörung in Florenz

Titel: Verschwörung in Florenz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Franziska Wulf
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Füße unter dem Wandbehang neben ihr hervorragen sehen und sie miteinander wispern hören.
    Anne und Clarice sahen sich an, Clarice nickte, und beide zogen an ihrer Schnur. Wie von Zauberhand begann sich nun das Laken von dem Bild zu lösen und schwebte herab. Stille trat ein. Und dann war der Saal von Ohs, Ahs und entzückten Seufzern erfüllt, während die Musik mit einer Fanfare wieder einsetzte. Botticelli, der nur drei Meter von ihr entfernt stand, grinste vor Zufriedenheit wie ein Honigkuchenpferd. Offensichtlich stolz auf das Ergebnis und die Reaktion der Anwesenden, ging er auf Lorenzo zu, der ihm unter dem Beifall der Gäste beide Hände schüttelte. Anne sah zu Cosimo. Sein Blick galt jetzt ebenfalls nur noch dem Gemälde über ihren Köpfen. Er hatte seine Augenbrauen gehoben, anerkennend, so als hätte er Botticelli ein Werk wie die Geburt der Venus nicht zugetraut. Ein junger Mann mit langen dichten Locken, der Anne bekannt vorkam, obwohl sie sich nicht daran erinnern konnte, wo sie ihn schon mal gesehen hatte, stand jetzt neben ihm. Die beiden sprachen eifrig miteinander, und immer wieder nickte Cosimo. Dann fiel sein Blick erneut auf Anne, und er lächelte anzüglich. Anne wurde schlagartig bewusst, dass er sie erkannt haben musste. Cosimo wusste, dass der Körper der Venus auf dem Bild nicht zu Simonetta gehörte, sondern zu ihr, auch wenn sie sich nicht vorstellen konnte, woher er dieses Wissen nahm. Und wenn Cosimo es wusste – wie lange würde es wohl dauern, bis es die ganze Stadt wissen würde?
    »Nun geh schon, sieh es dir an, meine Liebe! Ich bin sicher, es wird dir gefallen.« Giuliano nahm sie am Arm und zog sie sanft vom Kamin weg in eine Entfernung, aus der sie das Gemälde gut betrachten konnte.
    Anne wusste nicht, ob das, was hier über dem Kamin hing, wirklich jenes Gemälde war, das sie aus den Uffizien kannte. Sie hob deshalb mit sehr gemischten Gefühlen den Blick – und war verzaubert. Eigentlich bevorzugte sie eher moderne Kunst. Pablo Picasso, Henri Matisse, James Rizzi, Niki de Saint Phalle, Ma Tse Lin, Stefan Szczesny, Elvira Bach waren Maler, deren Stil und Bilder sie beeindruckten, doch die Geburt der Venus hatte schon immer neben einer Hand voll anderer Werke alter Meister zu ihren Lieblingsgemälden gehört. Oft genug war sie nur wegen dieses Gemäldes in die Uffizien gegangen. Dem Bild hier im Saal jenes Mannes gegenüberzustehen, auf dessen Auftrag hin es entstanden war, und es im Schein der Kerzen zu betrachten, war etwas ganz anderes. Schauer liefen über ihren Rücken. Es war ohne Zweifel dasselbe Gemälde, das sie kannte. Doch die Farben leuchteten in überraschender Intensität und verliehen der Szene einen ganz neuen Reiz.
    Natürlich sind die Farben anders, als ich sie kenne, dachte Anne und betrachtete jede Einzelheit, als würde sie sie zum ersten Mal sehen – jede Wölbung der Muschel, aus der Venus emporstieg, jede Welle des Meeres zu ihren Füßen, jede einzelne Rose, die aus Zephirs und Chloris‘ Armen auf die Göttin der Liebe herabregnete. Die Farben sind anders. Sie sind frisch, ja, noch ein bisschen feucht. Ich kann sie sogar riechen.
    Stirnrunzelnd glitt ihr Blick zu dem riesigen Kamin, über dem das Gemälde hing. Vermutlich war sein Rauch für die Schwärzung der Farben verantwortlich. Sie musste versuchen Lorenzo davon zu überzeugen, das Gemälde an einem anderen Ort aufzuhängen. Es musste geschützt werden. Es war so unvergleichlich schön, so voller Liebreiz.
    Zärtlich verweilte ihr Blick auf dem Gesicht des Zephirs. Giuliano. Er war es, daran gab es keinen Zweifel. Jede einzelne Locke, ja, selbst das Funkeln seiner Augen hatte Botticelli naturgetreu dargestellt. Zärtlich hielt er Chloris in seinen Armen, Chloris, die ihn mit ihren Beinen umschlang, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Chloris, die …
    Anne erstarrte, und für einen Moment hörte sie sogar auf zu atmen. Aber konnte das denn sein? War das wirklich möglich? Nein. Sie schüttelte den Kopf, rieb sich die Augen und sah noch einmal hin zu dem Gesicht der Göttin der Blumen, die mit Zephir durch die Luft schwebte. Und doch war es immer noch da, war auf die Leinwand gemalt, gebannt für alle Zeiten – ihr eigenes Gesicht. Venus hatte ihren Körper, aber Chloris, das war sie, sie selbst, Anne Niemeyer aus Hamburg. Ihr wurde schwindlig. Sie konnte es nicht begreifen. Sie kannte jeden Pinselstrich dieses Gemäldes, hatte es wohl stundenlang und gewiss tausendmal betrachtet –

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