Verschwörung in Florenz
im Original, auf Bildern in Büchern und auf Postkarten. Und doch war ihr nie zuvor aufgefallen, dass Chloris aussah wie sie.
Wie denn auch?, dachte Anne und bezwang mühsam das hysterische Lachen, das aus ihrer Kehle aufsteigen wollte. Wer rechnete schon mit seinem Porträt auf einem Gemälde aus dem 15. Jahrhundert? Das war doch krank. Das war Wahnsinn.
»Überrascht?«, erkundigte sich eine spöttische Stimme hinter ihr. »Oder eher erschrocken? Hat das Auge des Künstlers etwas geahnt, wovon Ihr selbst bisher noch nichts wusstet?«
»Weder noch«, entgegnete Anne kühl, ohne sich umzudrehen. Sie wollte nicht, dass Cosimo sie ansah. Er war intelligent genug, um von ihrem Gesicht ablesen zu können, wie Recht er hatte. Diesen Triumph wollte sie ihm nicht gönnen. Außerdem war er bestimmt der Letzte, mit dem sie über ihre Beziehung zu Giuliano sprechen wollte. »Ich bin entzückt von der Darstellung, der Anmut der Venus, den Rosen. Man glaubt fast, man könnte ihren Duft riechen, findet Ihr nicht auch?«
»Ihr versteht etwas von der Malerei?«, fragte Cosimo anstelle einer Antwort, und für einen Moment war seine Stimme frei von Spott und bissiger Ironie. Sie warf ihm einen raschen Blick zu, doch seine Augen ruhten jetzt nicht auf ihr, sondern auf dem Gemälde.
»Als Kenner und Kritiker, auf dessen Urteil man bauen kann, würde ich mich nicht gerade bezeichnen«, antwortete sie, »doch ich mag Kunst, und ich weiß, wann mir ein Bild gefällt.«
»Ja, die Kunst ist eine Erfindung der Götter, um den Menschen das Dasein auf Erden zu versüßen.« Versunken in den Anblick der Geburt der Venus, schüttelte er langsam den Kopf. »Ich gebe offen zu, dass ich Botticelli für gewöhnlich nicht besonders schätze. Nie wäre ich auf den Gedanken gekommen, ausgerechnet ihm einen Auftrag zu erteilen oder seine Bilder in meinem Heim aufzuhängen. Es gibt Männer mit mehr Talent und Inspiration in dieser Stadt. Aber dieses Bild hier ist ein Meisterwerk. Einem Künstler, der imstande ist, etwas Derartiges zu erschaffen, kann vieles verziehen werden, selbst seine mittelmäßigen Porträts. Die Geburt der Venus wird ihn unsterblich machen.« Er seufzte. »Ich beneide Lorenzo. Was glaubt Ihr, Signorina Anne, wird mein Vetter wohl bereit sein, mir die Venus zu verkaufen? Natürlich nicht heute, auch nicht morgen, sondern in einiger Zeit, wenn er ihres Anblicks überdrüssig geworden ist und ein neues Gemälde in Auftrag gibt.«
»Ich weiß nicht«, antwortete Anne und dachte daran, dass Botticelli in diesem Bild Giuliano ein Denkmal gesetzt hatte. Giuliano, der in weniger als einem Jahr tot sein würde. Würde Lorenzo sich freiwillig von etwas trennen, das ihn an seinen geliebten Bruder erinnerte, an sein Lächeln, seine Fröhlichkeit, seine Lebenslust? Wohl kaum. Und doch … »Aber ich bin sicher, dass es Euch eines Tages gehören wird. Denn vergesst eines nicht, Cosimo: Im Gegensatz zu Lorenzo oder allen anderen Mitgliedern Eurer Familie habt Ihr Zeit. Ihr habt sogar sehr viel Zeit. Was sind für Euch zehn Jahre oder fünfzig. Selbst wenn Ihr ein Jahrhundert lang auf dieses Bild warten müsstet, so könnte es Euch gleichgültig sein. Ihr habt auch dann noch mehr als vierhundert Jahre vor Euch, um den Anblick dieses Gemäldes zu genießen – in Gedanken an all jene, die Ihr im Laufe der Jahrzehnte hinter Euch gelassen habt.«
Auch der letzte Rest Farbe war aus Cosimos Wangen gewichen, doch er hielt Annes Blick stand.
»Ihr glaubt Euch ein Urteil erlauben zu können, weil Ihr aus einer Zeit stammt, fern vom heutigen Tag«, sagte er so leise, dass nur sie es hören konnte. »Doch wenn Ihr wüsstet, was ich weiß, so wärt Ihr ohne Zweifel bedächtiger mit Euren Worten.«
Noch bevor sie etwas entgegnen konnte, machte Cosimo auf dem Absatz kehrt und ging davon. Anne erkannte, dass sie einen Fehler begangen hatte, und ärgerte sich über sich selbst. Cosimo war gerade in guter Stimmung gewesen. Warum konnte sie nicht einfach ihren Mund halten? Sie hatte die einmalige Gelegenheit verpasst, mehr über das Elixier herauszufinden.
Unschlüssig, was sie nun tun sollte, schlenderte Anne zum Büfett und nahm sich eine von den mit Mandelsplittern überzogenen Gebäckkugeln, die zu einer Pyramide aufgetürmt auf einer silbernen Platte lagen. Sie kannte diese Kugeln. Cosimo hatte sie auf seinem Kostümfest gereicht. Damals hatte er ihr erzählt, dass es sich um ein uraltes Rezept handelte. Dass es in der Tat ein Familienrezept
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